Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
förmlich hinter sich herzuziehen schien. »Seht doch! Seht nur, wie sie fliehen!« Sie krümmte die Finger und streckte die Arme nach dem Schiff aus. Als ihre Mannschaft Segel für die Verfolgung setzte, blies der Wind mit Macht in ihren Rücken.
»Es ist ein Sklavenschiff. Kennit wird sie alle töten!«, warnte Wintrow sie leise. »Wenn du ihm hilfst, das Schiff zu kapern, wird die ganze Mannschaft sterben.«
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Und wenn ich ihm nicht helfe? Wie viele Sklaven werden dann an jedem Tag der Reise sterben?« Sie richtete ihren Blick wieder auf ihre Beute, und ihre Stimme wurde härter. »Nicht alle Menschen haben das Leben verdient, Wintrow. Jedenfalls rettet unser Verhalten mehr Leben. Wenn sie weitersegeln, wäre es ein Wunder, wenn überhaupt jemand diese Reise übersteht.«
Wintrow achtete kaum auf sie. Ungläubig sah er zu, wie das Sklavenschiff seinen Abstand zur Marietta immer mehr vergrößerte. Das Sklavenschiff sah natürlich seine Chance und erkannte auch die neue Bedrohung durch die Viviace. Das überladene Schiff wendete und nahm Kurs auf die Mitte des Kanals. Die Marietta war zu weit hinter ihm zurückgefallen. Ohne das andere Piratenschiff jedoch war die Zangentechnik zum Scheitern verurteilt. Es war zwar unglaublich, aber das Sklavenschiff würde entkommen.
Kennit legte seine Krücke auf das Vordeck und zog sich zum Hauptdeck hinauf. Sobald er oben war, rappelte er sich hoch und klemmte sich die Krücke wieder unter den Arm. Etta war nirgendwo zu sehen. Mühsam arbeitete er sich an der Reling entlang bis zu ihnen. Kaum war er dort, schüttelte er enttäuscht den Kopf. »Die armen Seelen. Das Sklavenschiff entkommt. Ich fürchte, wir müssen sie ihrem elenden Schicksal überlassen.«
Heute würde es kein Gemetzel geben. Wintrow war einen Moment erleichtert. Da schrie Viviace auf. Es war ein Schrei der puren Jagdlust. Im gleichen Moment nahm sie Fahrt auf. Alle Planken und jedes Segel funktionierte plötzlich perfekt. Die Jubelrufe der Mannschaft wurden lauter, als die Viviace dem Sklavenschiff immer näher kam. Ihre Intensität erregte Wintrows Aufmerksamkeit, wie das Flattern eines Schmetterlings im Spinnennetz die Spinne anzieht. »Mylady!«, rief Kennit anerkennend. Es war wie eine Segnung, und die Viviace glühte vor Zufriedenheit. Wintrow fühlte, wie ihm selbst heiß wurde. Kennit bellte Befehle. Hinter sich hörte der Junge das Rasseln der Schwerter und die Witze der Männer, die sich auf das Morden vorbereiteten und andere Männer töten würden. Die Entermannschaft schloss Wetten ab, und die Männer forderten sich gegenseitig heraus, während sie sich auf die Kaperung vorbereiteten. Enterhaken und Fangleinen wurden an Deck gebracht, während sich die Bogenschützen hastig auf ihre Positionen in der Takelage der Viviace begaben.
Viviace ignorierte sie alle. Das hier war ihre Jagd, ihre Beute. Sie achtete überhaupt nicht auf die Männer an Bord. Wintrow spürte seinen eigenen Körper kaum. Er umklammerte wie ein Raubvogel die Bugreling, und der Wind strich ihm durch das Haar. Viviace erstickte sein kleines Selbst mit ihrer Energie. Wie in einem Traum sah er, dass das Sklavenschiff vor ihnen immer größer wurde. Der Gestank wurde schlimmer, und die Männer, die auf den Decks herumliefen, hatten furchterfüllte Gesichter. Er hörte, wie die Piraten aufgeregt schrieen, als die Enterhaken geworfen wurden und die erste Salve Pfeile davonzischte. Die Schreie derjenigen, die getroffen wurden, und die erstickten Laute der Sklaven unter Deck waren wie die Schreie der entfernten Seevögel. Er registrierte sehr genau, dass die Marietta plötzlich zu ihnen aufschloss. Sie drohte der Viviace ihre Beute wegzuschnappen. Doch das Zauberschiff würde es nicht zulassen.
Viviace beugte sich vor und griff nach dem anderen Schiff, als die Fangleinen straffgezogen wurden. Ihre Klauen erreichten das Sklavenschiff zwar nicht, aber ihr wilder Gesichtsausdruck schien die Mannschaft zu lähmen. »Auf sie! Auf sie!«, schrie sie wie von Sinnen und achtete nicht auf die Befehle, die Kennit zu geben versuchte. Ihre Blutgier war ansteckend. Als der Abstand zwischen den beiden Schiffen klein genug war, begann die Entermannschaft ihre Arbeit.
»Sie hat es getan! Unsere Schöne hat es vollbracht! Ach, Viviace, ich hätte nicht gedacht, dass Ihr so schnell seid und so geschickt!« Kennit betete sie mit seinem Lob förmlich an.
Eine Welle reiner Bewunderung für Kennit erfüllte Wintrow.
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