Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
wenigstens packen und seine Launen aus ihm herausschütteln können.
Er vermutete, dass das Lebensschiff so etwas wie Disziplin und Selbstkontrolle niemals gelernt hatte. Das war die Wurzel von Paragons Problemen, erklärte er Althea und Amber. Keine Disziplin. Sie mussten ihm das beibringen, bis Paragon gelernt hatte, sich im Zaum zu halten. Aber wie sollte man ein Schiff disziplinieren? Die drei hatten diese Frage in verschiedenen Nächten bei mehreren Krügen Bier ausführlich erörtert, einige Tage, bevor die Flut am höchsten stehen würde.
Es war schwül. Sie saßen auf Treibholzstücken am Strand. Clef hatte Bier aus der Stadt geholt. Es war billiges Bier und trotzdem viel zu teuer für ihr Budget. Aber es war ein außerordentlich langer und heißer Tag gewesen, und Paragon hatte sich besonders schwierig verhalten. Sie zogen sich in den Schatten seines Hecks zurück. Heute hatte Paragon sein kindischstes Verhalten herausgekehrt, was bedeutete, dass er die Leute beleidigte und mit Sand bewarf. Da das Schiff seitlich auf dem Strand lag, hatte Paragon einen unerschöpflichen Vorrat davon zur Verfügung. Brashen juckte es überall von dem Sand, der in seinem schweißnassen Haar und auf seinem feuchten Rücken klebte. Es nützte nichts, das Schiff anzuschreien oder es zu verfluchen. Am Ende hatte sich Brashen einfach hingehockt, die nötigen Arbeiten erledigt und einfach nicht auf die Sandschauer reagiert, mit denen Paragon ihn überschüttet hatte.
Althea zuckte mit den Schultern. Brashen sah den schwarzen, schmutzigen Sand, der in ihrem Haaransatz klebte. »Was soll man da machen? Er ist ein bisschen zu groß, um ihm den Hintern zu versohlen. Und einfach ins Bett schicken kann man ihn auch nicht, schon gar nicht ohne Abendessen. Wir haben wohl keine Möglichkeit, ihn zu bestrafen. Also müssen wir uns auf Bestechung verlegen.«
Amber stellte ihren Bierkrug ab. »Du sprichst von Bestrafung. Aber eigentlich reden wir über Disziplin.«
Althea dachte einen Augenblick nach. »Ich gebe zu, dass das zwei verschiedene Dinge sind, aber ich weiß leider nicht, wie man sie trennen kann.«
»Ich bin bereit, alles zu versuchen, damit er sich anständig benimmt. Könnt ihr euch vorstellen, wie schwierig es ist, ihn so zu segeln? Wenn wir ihn nicht bald fügsamer machen, war unsere ganze Arbeit umsonst.« Brashen sprach seine tiefsten Ängste aus. »Er könnte sich gegen uns stellen. In einem Sturm oder bei einer Auseinandersetzung mit Piraten. Er könnte uns umbringen.« Er zwang sich dazu, leiser hinzuzufügen: »So etwas hat er bereits getan. Wir wissen, dass er dazu fähig ist.«
Dieses Thema besprachen sie niemals öffentlich. Eigenartig, dachte Brashen. Dabei ist Paragons Wahnsinn doch etwas, mit dem wir uns jeden Tag aufs Neue auseinander setzen müssen. Sie hatten schon häufig die verschiedenen Aspekte erörtert, sich aber niemals getraut, wirklich die letzten Konsequenzen in Betracht zu ziehen. Selbst jetzt folgte seinen Worten ein ausgedehntes Schweigen.
»Was will er denn?« Amber stellte diese Frage niemand Bestimmtem. »Die Disziplin muss aus ihm selbst heraus kommen. Er muss bereit sein zu kooperieren, und diese Bereitwilligkeit kann nur auf dem gründen, was er will. Wir können nur versuchen, ihm das entweder einzuflößen oder ihn wegen seines Verhaltens zurückzuweisen.« In ihrer Stimme schwang ein besorgter Unterton mit, als sie weitersprach. »Er wird lernen müssen, dass schlechtes Verhalten Konsequenzen nach sich zieht.«
Brashen lächelte sarkastisch. »Das wird dir noch schwerer zusetzen als ihm. Ich weiß, dass du es nicht erträgst, wenn er unglücklich ist. Ganz gleich, wie mies er sich benimmt, du gehst immer zu ihm, wenn es dunkel wird, redest mit ihm, erzählst ihm Geschichten oder spielst ihm Musik vor.«
Amber sah schuldbewusst zu Boden und zupfte an ihren schweren Arbeitshandschuhen. »Ich kann seinen Schmerz fühlen«, gestand sie. »Ihm ist so viel angetan worden. Und man hat ihm fast nie eine Chance gelassen. Dabei ist er so verwirrt. Er hat Angst, an etwas Gutes zu glauben. Jedes Mal, wenn er in der Vergangenheit Hoffnung geschöpft hat, wurde ihm anschließend jede Freude genommen. Also hat er sich entschlossen, von vornherein anzunehmen, dass alle Menschen gegen ihn sind. Deshalb verletzt er alle, bevor er selbst verletzt werden kann. Die Mauer, die wir durchbrechen müssen, ist sehr dick.«
»Also. Was können wir tun?«
Amber schloss die Augen, als kämpfe sie gegen einen
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