Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
Sie sollen alles geben!«
Er hörte ein Platschen. Brashen lief zu ihm, obwohl die Wellen dem Menschen mittlerweile bis zum Oberschenkel reichen mussten. »Noch nicht, Paragon. Es ist noch nicht tief genug.«
»Quatsch nicht, es ist nicht tief genug! Glaubst du, dass ich so dumm bin, nicht zu wissen, wann ich schwimme? Ich fühle, wie ich von jeder Welle angehoben werde. Außerdem ist da ein verdammt großer Felsbrocken unter mir. Wenn du mich nicht sofort vom Strand ziehst, schlage ich noch gegen den Felsen.«
»Ruhig. Reg dich nicht auf. Clef! Gib ihnen das Zeichen, anzufangen. Aber ganz langsam.«
»Vergiss es! Sag ihnen, sie sollen sich ordentlich ins Zeug legen!«, widersprach Paragon Brashens Befehl. »Du hast mich gehört, Clef!«, bellte er, als niemand antwortete. Sie sollen verdammt noch mal auf mich hören, dachte er wütend. Er hatte es satt, dass sie ihn wie ein Kind behandelten.
Das Tau an seinem Mast straffte sich so plötzlich, dass er knurrte.
»Zieht!«, schrie Brashen, und die Männer an den Hebeln lehnten sich dagegen. Sie schaukelten ihn hoch, aber es war noch nicht genug. Sobald er sich bewegte, sollte er auf eine Walze aus Stämmen rutschen, die man unter seinen Rumpf gelegt hatte. Es wäre klüger gewesen, sie wegzurollen, denn jetzt wirkten sie eher wie ein Keil.
»Zieht!«, rief Brashen, als die nächste Welle herankam. Plötzlich rutschte Paragon auf die Stämme. »Haltet die Leine straff!« Paragon fühlte, wie Brashen auf ihn hinaufkletterte. Plötzlich bewegte er sich und glitt den Strand entlang, immer tiefer in das ansteigende Wasser hinein. Es war kalt, schrecklich kalt, nachdem er all die Jahre in der Sonne gelegen hatte. Paragon schnappte unwillkürlich nach Luft.
»Ruhig, ganz ruhig. Alles wird gut. Sie richten dich auf, sobald das Wasser tief genug ist. Weiter so. Es wird alles gut.«
»Wir ziehen Wasser!«, rief Althea aus seinem Inneren. »Aber ich glaube, wir bekommen es unter Kontrolle. Du da, geh an die Pumpe! Warte nicht, bis es voll gelaufen ist, sondern mach es sofort!«
Paragon fühlte die Hammerschläge in seinem Inneren, als jemand Werg in die Ritzen rammte, die sich geöffnet hatten. Altheas helle Stimme signalisierte, dass die Männer offenbar nicht so schnell arbeiteten, wie sie wollte. Er glitt weiter auf der Seite über den Strand, in noch tieferes Wasser. Jetzt schaukelte er, wenn die Wellen ihn trafen. Beides, seine Konstruktion und sein Instinkt, versuchte ihn aufzurichten, aber das Gegengewicht an seinem Mast hielt ihn auf der Seite fest.
»Schneidet das Gewicht los! Ich will mich endlich aufrichten!«, brüllte er wütend.
»Noch nicht, mein Junge. Jetzt noch nicht. Noch ein kleines bisschen. Ich habe eine Boje gesetzt, und wenn wir die passiert haben, weiß ich, dass dein Kiel frei sein wird. Ruhig, ganz ruhig.«
»Ich will mich aufrichten!«, schrie Paragon, und diesmal konnte er die Angst in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken.
»Bald. Vertrau mir, Junge, nur noch ein kleines bisschen.«
In all den Jahren am Strand hatte sich Paragon an seine Blindheit gewöhnt. Aber es war eine Sache, blind am Strand zu liegen und nichts zu sehen, und etwas anderes, sich plötzlich wieder zu bewegen, auf dem offenen, unberechenbaren Meer zu schwimmen und keine Ahnung zu haben, wo er war oder was sich ihm näherte. Ein Treibholzstamm konnte gegen ihn stoßen, oder er konnte gegen einen Unterwasserfelsen fahren. Niemand würde eine Warnung hören. Warum ließen sie ihn nicht hochkommen?
»Gut, lasst los!«, schrie Brashen plötzlich. Die Leine, mit der das Gegengewicht gehalten wurde, flog jetzt davon. Langsam richtete Paragon sich auf, und dann hob ihn die nächste Welle wie einen Korken an. Amber schrie überrascht auf. Kaltes Wasser strömte plötzlich an beiden Seiten seines Rumpfs vorbei. Zum ersten Mal seit über dreißig Jahre stand er wieder aufrecht da. Er breitete die Arme aus und stieß einen triumphierenden Schrei aus. Er hörte, wie Amber ihm mit einem lauten Lachen antwortete, selbst als Althea in seinem Inneren Alarm schlug.
»An die Pumpen! Sofort! Brashen, lass so schnell du kannst das Segeltuch runter!«
Er hörte das Trampeln von Füßen und aufgeregte Schreie, aber es kümmerte ihn nicht. Er würde nicht sinken. Das fühlte er. Er streckte die Arme, den Rücken und die Schultern. Als das Wasser ihn weiter anhob, ließ er sein Bewusstsein durch seinen ganzen Körper strömen. Er fühlte, wie seine Planken und Streben aneinander gefügt
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