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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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an. »Dafür entschuldige ich mich nicht.«
    »Das ist auch nicht nötig«, antwortete sie. Sein regennasses Gesicht, die Tropfen, die in seinem Haar glänzten, seine dunklen Augen und allein schon seine Nähe überwältigten sie beinahe. Anscheinend verriet ihre Miene diese Gefühlsaufwallung, denn er sah sie erstaunt an. Ohne zu überlegen, wer sie vielleicht sehen mochte, packte sie seine nasse Hand. »Ich kann es nicht erklären«, sagte sie lachend. In diesem Moment reichte es ihr völlig, ihn einfach nur anzusehen.
    Er drückte ihre Hand. »Komm. Lass uns etwas einkaufen und mit Leuten reden. Wir haben hier etwas zu erledigen.«
    »Ich wünschte, wir müssten nichts tun. Weißt du, mir gefällt diese Stadt, und mir gefallen auch diese Menschen. Trotz aller Gründe, die vielleicht dagegen sprechen. Ich wünschte, wir könnten einfach hier sein, nur so, wir beide. Ich wünschte, das hier wäre unser wahres Leben. Fast habe ich das Gefühl, als gehörte ich hierher. Ich wette, dass Bingtown vor hundert Jahren genauso ausgesehen hat. Das Unfertige, die Energie, die Menschen, die so akzeptiert werden, wie sie sind. Sa möge mir verzeihen, Brashen, aber ich wünschte, ich könnte jedes Verantwortungsgefühl einfach abstreifen und nur Pirat sein.«
    Er sah sie erstaunt an und grinste dann. »Geh lieber vorsichtig mit deinen Wünschen um«, ermahnte er sie.
    Es war ein merkwürdiger Nachmittag für Althea. Die Rolle, die sie spielte, kam ihr natürlicher vor als die Realität. Sie kauften Öl für die Schiffslaternen und sorgten dafür, dass es zur Pier geschickt wurde. Bei einem anderen Händler suchte Althea Kräuter und Salben aus, um die Bordapotheke des Paragon aufzufüllen. Impulsiv zog Brashen sie in einen Kaufladen und erstand einen bunten Schal für sie. Sie band sich das Haar damit zurück. Daraufhin kaufte Brashen noch Ohrringe mit Jade und Granatsteinen. »Du musst sie dir ansehen«, flüsterte er ihr ins Ohr, als er schließlich den Verschluss der Kette zumachte, die er ihr um den Hals gelegt hatte.
    In dem beschlagenen Spiegel, den der Ladenbesitzer ihr hinhielt, sah sie eine ganz andere Althea. Sie verkörperte eine Seite an ihr, die sie sich bei Tageslicht niemals gestattet hätte.
    Brashen beugte sich vor und küsste ihren Hals. Als er hochsah, begegneten sich ihre Blicke im Spiegel. Die Zeit schien sich um sie zu drehen, und Althea erkannte in ihnen den wilden entlaufenen Bingtowner Händlersohn und den unberechenbaren Wildfang wieder, der ihre Mutter so entsetzt hatte. Sie passten sehr gut zusammen, denn Piraterie und Abenteuer waren immer schon ihre Bestimmung gewesen. Ihr Herz schlug schneller. Das Einzige, was sie in diesem Augenblick bedauerte, war, dass alles nur ein Schwindel war. Sie lehnte sich zurück und bewunderte die glitzernde Halskette. Als sie sich umdrehte und Brashen küsste, betrachteten sie sich im Spiegel.
    Wohin auch immer sie sich in der Stadt wandten, früher oder später redeten die Leute über Kennit oder das Lebensschiff. Sie sammelte Bruchstücke von Informationen über ihn, nützliche und nebensächliche. So entstanden Legenden: Jeder Erzähler schmückte seine Geschichten über Kennit mit persönlichen Bemerkungen aus. Sein Priester-Junge hatte Kennit das zertrümmerte Bein sauber abgetrennt, und der Pirat hatte es erduldet, ohne einen Laut von sich zu geben. Nein, er hatte sogar dem Schmerz ins Gesicht gelacht und eine Stunde später mit seiner Frau geschlafen. Nein, es war der Priester-Junge gewesen: der Prophet des Piratenkönigs hatte gebetet, und Sa hatte höchstselbst Kennits Stumpf geheilt. Er war von Sa auserkoren, das wussten alle. Als Bösewichte versucht hatten, Kennits Frau hier im alten Divvytown zu vergewaltigen, hatte der Gott sie beschützt, bis Kennit aufgetaucht war. Dann hatte er ganz allein ein Dutzend Männer niedergemetzelt und die Frau auf seinen Armen aus ihrem Gefängnis getragen. Etta hatte in einem Bordell gelebt, sich aber nur für Kennit interessiert. Es war eine Liebesgeschichte, bei der selbst die hartgesottensten Halsabschneider heulten wie die Schlosshunde.
    Am späten Nachmittag kauften sich Brashen und Althea bei einem Händler Fischsuppe und frisch gebackenes Brot. Dort hörten sie auch zum ersten Mal, wie der Priester-Junge sich zwischen Kennit und halb Divvytown gestellt und anschließend prophezeit hatte, dass Kennit irgendwann ihr König sein würde. Diejenigen, die die Worte des Jungen angezweifelt hatten, waren seiner scharfen

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