Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
und antwortete in einem vertraulichen Ton: »Ihr seid also neu in dem Geschäft, hm? Wisst ihr denn nicht, dass dies hier die Erntezeit auf den Pirateninseln ist? Alle Schiffe sind draußen und bringen unsere Wintervorräte ein. Dieses Wetter ist unser Verbündeter. Wenn ein Schiff aus Jamaillia drei Tage lang in einem Sturm gesegelt ist, dann ist die Mannschaft müde und sorglos.
Wir können sie überrumpeln, wenn wir aus der Tür treten und sie anhalten. Der Winter nimmt uns die schwere Arbeit ab. In dieser Jahreszeit sind auch die Ladungen fetter, denn jetzt werden die Früchte der Ernte hin und her transportiert.«
Sein Lächeln verschwand. »Außerdem ist es die schlimmste Zeit für die, die auf Sklavenschiffen gefangen sind. Das Wetter ist schlecht und das Meer eiskalt. Die armen Kerle sind unter Deck angekettet, und die Eisen sind so kalt, dass sie ihnen die Haut von den Knochen reißen. In dieser Jahreszeit gleichen Sklavenschiffe fast immer schwimmenden Friedhöfen.«
Er grinste wieder, und seine Miene nahm einen wilden Ausdruck an. »Aber dieses Jahr können wir uns auch sportlich betätigen. In der Inneren Passage wimmelt es von chalcedeanischen Galeonen. Sie hissen zwar ihre Flaggen und tun so, als gehörten sie zum Satrapen. Aber das ist nur ein Schwindel. In Wirklichkeit picken sie sich die besten Brocken selbst heraus.
Sie halten sich ja für so clever. Kapitän Brig, Kennits eigener Mann, hat uns das Spiel beigebracht. Wir lassen die Galeonen in Ruhe Beute machen, bis sie ganz fett sind. Wenn sie dann tief im Wasser liegen, ist Erntezeit. Wir kommen ins Spiel und mit einem einzigen Kampf schöpfen wir den Rahm von den vielen Schiffen ab, die sie gekapert haben.«
Er lehnte sich auf der Bank zurück und lachte laut über Altheas ungläubige Miene. Dann schlug er nachdrücklich mit dem Becher auf den Tisch, um den Tavernenjungen heranzurufen. Nachdem der einen vollen Becher vor ihn hingestellt hatte, fragte der Mann: »Und wie bist du zu diesem Leben gekommen?«
»Auf einer genauso krummen Straße wie du, denke ich.« Sie neigte den Kopf und sah ihn neugierig an. »Und die hat nicht in Jamaillia angefangen. Das höre ich an deinem Akzent.«
Der Trick funktionierte. Er begann sofort mit seiner Lebensgeschichte. Es war tatsächlich ein sehr verschlungener Pfad, der ihn nach Divvytown und zur Piraterie gebracht hatte. In seiner Geschichte mischten sich Tragik und Pathos, und er erzählte sie gut. Fast gegen ihren Willen entwickelte Althea Sympathie für ihn. Er erzählte von dem Überfall, der seine Eltern das Leben gekostet hatte. Seine Schwester war für immer verschwunden. Man hatte ihn von der Schaffarm eines kleines Küstendorfes irgendwo weit im Norden entführt. Anschließend musste er einige chalcedeanische Herren über sich ergehen lassen. Einige waren grausam, andere einfach nur gefühllos.
Schließlich landete er zusammen mit einem halben Dutzend anderer Sklaven als Hochzeitsgeschenk auf einem Schiff, das nach Süden segelte. Kennit hatte das Schiff gekapert.
Da war es wieder. Seine Geschichte stellte nicht nur ihre Vorstellung auf den Kopf, wer und was Kennit war, sondern auch ihre Einstellung dazu, was Sklaverei bedeutete und wer Sklave wurde. Piraten waren längst nicht das, was sie erwartet hatte.
Aus den gierigen Halsabschneidern, über die sie so viele Geschichten gehört hatte, wurden plötzlich Männer, die ausgestoßen worden waren, an den Rand gedrängt, und die sich ihren Weg aus der Sklaverei erkämpft hatten. Jetzt holten sie sich gewaltsam einen Teil von dem zurück, was man ihnen genommen hatte.
Er erzählte ihr noch mehr Dinge, die sie ziemlich überraschten. Vor allem erschrak sie darüber, dass er davon ausging, dass alle davon wüssten. Er sprach von den Brieftauben, die Nachrichten zwischen den Pirateninseln und den Verwandten in Jamaillia-Stadt hin und her transportierten. Er sprach von den ganz normalen Handelsschiffen, die aus Jamaillia und sogar aus Bingtown kamen und den Pirateninseln heimliche Besuche abstatteten. Der neueste Klatsch aus beiden Städten gehörte in Divvytown zum ganz normalen Stadtgespräch. Die Neuigkeiten, die er Althea mitteilte, schienen ihr aber sehr weit hergeholt zu sein. Ein Aufstand in Bingtown hätte die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt. Als Vergeltung dafür hätten die Bingtowner den Satrapen als Geisel genommen. Neue Händler hätten diese Nachrichten nach Jamaillia-Stadt geschickt, wo man eine Flotte ausrüstete, um die
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