Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Morgengrauen weckte ihn ein trompetender Chorus. Sie umschwärmten sein Lebensschiff. Sie hoben ihre ungeheuren Köpfe mit den Mähnen aus dem Wasser und beäugten neugierig das Schiff. Ihre langen Körper durchschnitten das Wasser, kreuzten Blitzens Bug und folgten in ihrem Kielwasser. Ihre erstaunlichen Farben glänzten im Licht der Morgensonne. Und ihre großen Augen rotierten wie Windräder.
Kennit selbst schien das Ziel dieser starrenden Blicke zu sein.
Während er auf dem Vordeck stand und zusah, hielt Blitz Hof für diese merkwürdigen Freier. Sie stiegen aus dem Wasser empor. Einige waren so groß wie die Galionsfigur, und sie alle betrachteten sie forschend. Einige schweigend, andere trompeteten oder pfiffen. Als Blitz zu ihnen sang, drehten sich die Köpfe unvermeidlich zu Kennit um. Wieder starrten sie ihn an.
Einen Mann, der bereits ein Bein an eine Seeschlange verloren hatte, konnten diese gierigen Blicke schon beunruhigen. Trotzdem hielt er die Stellung und lächelte.
Hinter ihm arbeiteten die Männer vorsichtiger als normal auf dem Deck und in den Wanten. Unter ihnen lauerte der doppelte Tod von Wasser und Fangzähnen. Es spielte keine Rolle, dass die Seeschlangen eigentlich nicht aggressiv wirkten. Ihr Brüllen und ihre Tollereien genügten, um jeden einzuschüchtern.
Nur Etta schien ihre Angst vor diesen Geschöpfen abgelegt zu haben. Sie hielt sich an der Reling fest und verfolgte mit großen Augen und geröteten Wangen das Spektakel ihrer leuchtenden Eskorte.
Wintrow stand hinter ihnen und hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt. Er redete mit dem Schiff. »Was sagen sie dir, und was antwortest du ihnen?«
Sie sah ihn erstaunt an. Vor Kennits Augen zuckte der Junge plötzlich zusammen, als hätte man ihm einen Stich versetzt. Er wurde bleich, ging in die Knie und stolperte von der Reling fort. Unsicher, mit leeren Blick, verließ Wintrow das Vordeck, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Kennit überlegte kurz, ob er eine Erklärung fordern sollte, beschloss dann aber, die Angelegenheit einfach zu ignorieren. Er wollte es nicht riskieren, Blitz zu verärgern. Die Miene der Galionsfigur war gleichbleibend freundlich. Blitz sprach und richtete ihre Worte an Kennit.
»Was sie sagen, geht Menschen nichts an. Sie reden von Schlangenträumen, und ich versichere ihnen, dass ich ebenfalls solche Träume habe. Das ist alles. Sie werden mir jetzt folgen und tun, was ich ihnen sage. Wähle deine Beute, Kapitän Kennit. Sie werden eintauchen, sie jagen und sie dir zutreiben, wie ein Rudel Wölfe einen Bullen von der Herde weglockt. Befiehl, wohin wir gehen sollen, und alles, was du begehrst, wird dir wie eine reife Frucht in die Hände fallen.«
Sie machte ihm dieses Angebot in einem vollkommen beiläufigen Ton. Kennit begriff sofort, was es bedeutete. Nicht nur Schiffe, sondern auch Dörfer, ja sogar Städte konnte er ausplündern. Er betrachtete seine regenbogenfarbene Eskorte und stellte sich vor, wie die Seeschlangen im Hafen von Bingtown das Wasser aufwühlten oder sogar vor den Docks von Jamaillia-Stadt herumtollten. Sie konnten eine Blockade bilden, die jeden Handel unterband. Mit einer Flottille von Seeschlangen unter seinem Kommando konnte er den gesamten Verkehr durch die Innere Passage kontrollieren. Sie ermöglichte ihm die Herrschaft über die gesamte Küste.
Er sah, wie sie ihn aus den Augenwinkeln musterte. Sie wusste sehr genau, was sie ihm anbot. Er trat dichter an sie heran und sprach so leise, dass nur sie es hören konnte. »Und was kostet mich das? Nur ›was ich will, wann ich es will‹?«
Sie verzog ihre roten Lippen zu einem entzückenden Lächeln.
»Ganz genau.«
Die Zeit des Zögerns war vorbei. »Du bekommst es«, versicherte er ihr ruhig.
»Ich weiß«, erwiderte sie.
»Was quält dich?«, frage Etta bissig Wintrow sah sie überrascht an. »Entschuldigung?«
»Scheiß auf Entschuldigung!« Sie deutete ungeduldig auf das Spielbrett auf dem Tisch zwischen ihnen. »Du bist am Zug. Und zwar schon so lange, wie ich gebraucht habe, um dieses Knopfloch fertig zu nähen. Jedes Mal, wenn ich hochsehe, sitzt du da und starrst in die Laterne. Also, was hast du? Du kannst dich in letzter Zeit überhaupt nicht mehr konzentrieren.«
Das lag daran, weil sein Verstand vollkommen mit einer einzigen Sache beschäftigt war. Das hätte er ihr sagen können, aber er zuckte stattdessen mit den Schultern. »Vermutlich komme ich mir in letzter Zeit etwas nutzlos vor.«
Sie grinste
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