Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
hoch, dass er sich beinahe mit einem Drittel seiner Länge aus dem Wasser hob, bevor er wieder hineinsank.
»Ruhe!«, befahl er, als er wieder auftauchte. »Hört zu!«
Die Köpfe und gebogenen Hälse der Schlangen schwebten auf den Wellenkämmen. Über ihnen strahlte der Mond, und die Sterne schienen so weiß wie Anemonen. Alle Mähnen waren voll aufgerichtet. Die Meeresoberfläche verwandelte sich vorübergehend in eine Wiese mit nachts blühenden Blumen. Einen Atemzug lang hörten sie nur den Wind und die Wellen.
Dann erhob sich eine Stimme in der Ferne, so rein wie Licht und so süß wie Fleisch. »Kommt«, sang sie. »Kommt zu mir, und ich schenke euch das Wissen über euch selbst. Kommt zu Der, die sich erinnert, und eure Vergangenheit gehört euch, und damit auch eure Zukunft. Kommt. Kommt.«
Tellur trompetete eine eifrige Antwort, aber Maulkin forderte ihn streng auf zu schweigen: »Shh! Was ist das?«
Denn nun hub eine zweite Stimme an zu singen. Die Worte wirkten merkwürdig verdreht, die Noten gekürzt, als ob die Schlange, die sang, keinen Resonanzkörper für ihre Stimme hätte. Aber wer auch immer sie war, sie antwortete dem Lied von Der, die sich erinnert. »Kommt, kommt zu mir. Eure Vergangenheit und eure Zukunft erwarten euch. Kommt, ich werde euch führen, ich werde euch beschützen. Gehorcht mir, und ich bringe euch sicher nach Hause. Aufs Neue werdet ihr euch erheben, und aufs Neue werdet ihr fliegen.«
Alle Köpfe drehten sich zu Maulkin um, und alle rotierenden Augen waren auf ihn gerichtet, und das Gift schoss in alle Stacheln. »Wir gehen!«, entschied er leise, damit nur sein Knäuel es hörte, nicht aber die Stimmen der Sirenen. »Wir gehen, aber wir werden vorsichtig sein. Etwas ist merkwürdig, und wir sind schon früher getäuscht worden. Kommt. Folgt mir.«
Dann warf er seinen Kopf zurück und riss sein Maul weit auf.
Seine goldenen, falschen Augen strahlten heller als der Mond oder die Sonne. Als er seine Stimme ertönen ließ, erzitterten selbst die Wellen um ihn herum vor seiner Macht.
»Wir kommen!«, brüllte er. »Wir kommen, um unsere Erinnerungen zu holen!«
Dann tauchte er in die Fülle ab. Er schoss durch das Wasser, und sein Knäuel folgte ihm. Der Weiße blieb allein zurück.
Shreeva traute ihm immer noch nicht und blickte sich nach ihm um.
»Narren! Narren! Narren!«, schrie Aas wild in den Nachthimmel. »Ich bin der größte Narr von allen!«. Mit einem wilden Schrei tauchte er ins Wasser und folgte ihnen.
Die, die sich erinnert, verließ das Schiff und begrüßte die anderen. Blitz drängte sie zwar zu bleiben und schlug vor, die Schlangen gemeinsam zu begrüßen, aber das konnte sie nicht tun. Dies war ihre Bestimmung, die sich nun endlich erfüllte.
Sie konnte diese lang erwartete Vollendung nicht künstlich hinausschieben. Sie schwamm ihnen entgegen und versuchte verzweifelt, elegant dahinzugleiten. Es herrschte ein schrecklicher Konflikt zwischen ihrem verunstalteten Körper und den uralten Erinnerungen an andere, ähnliche Zusammentreffen.
Sie hätte eigentlich doppelt so groß sein müssen, wie sie tatsächlich war, mit mächtigen Muskeln, ein Gigant unter den Schlangen und ausgestattet mit genügend Giften, um einem ganzen Knäuel ihre vollständigen Erinnerungen zu geben. Aber sie warf alle Bedenken über Bord. Sie würde ihnen alles geben, was sie hatte. Das musste genügen.
Als sie nah genug waren, um ihre Gifte zu schmecken, verharrte sie im Wasser. Sie ließ sich unter die Wasseroberfläche sinken und fächelte mit ihren Finnen, während sie auf sie wartete. Der Anführer war ein von vielen Kämpfen gezeichnetes Männchen, dessen falsche goldenen Augen hell leuchteten. Es schwamm auf sie zu und begrüßte sie leidenschaftlich. Die anderen schwärmten aus und richteten dabei ihre Köpfe alle auf ihren Körper. Unter den aufgewühlten Wellen des Meeres hingen sie im Wasser, so bewegungslos, wie schwimmende Kreaturen nur sein können, während sie alle sorgfältig den gleichen Abstand zueinander hielten. Es waren viele einzelne Individuen, die bald ein einziger Organismus sein würden, vereint in der Rassenerinnerung ihrer Spezies. Sie öffnete weit ihr Maul und entblößte ihre Fänge in der traditionellen Begrüßung.
Dann schüttelte sie ihre Mähne, bis die Giftstacheln um ihren Hals in voller Pracht aufgerichtet waren. Jeder einzelne Stachel stand da, angeschwollen mit den Giften, die sie jetzt bald ausstoßen würde. Entschlossen nahm sie
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