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Zaubersommer in Friday Harbor

Zaubersommer in Friday Harbor

Titel: Zaubersommer in Friday Harbor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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Messingdraht. Für
Lucy war dieser Tag der schönste ihrer ganzen Kindheit.
    Etwas später in derselben Woche kam Lucy
am frühen Abend vom Fußballtraining nach Hause. Der Himmel wurde bereits dunkel
und war mit leichten Schleierwolken überzogen, sodass er silbrig glänzte wie
die Wachsschicht auf einer reifen Pflaume. Steifbeinig, weil sie noch ihre
Schienbeinschützer trug, betrat sie ihr Zimmer. Die Lampe auf ihrem Nachttisch
brannte, und davor stand Alice und hielt etwas in der Hand.
    Lucy
musterte sie zornig. Alice durfte ihr Zimmer nicht ohne Erlaubnis betreten,
aber der Umstand, dass Lucys Zimmer tabu war, machte es für Alice nur umso
interessanter. Lucy hatte ohnehin schon vermutet, dass ihre Schwester sich ab
und zu heimlich in ihr Zimmer schlich, seitdem sie einmal festgestellt hatte,
dass ihre Plüschtiere und Puppen nicht am gewohnten Platz lagen.
    Überrascht
drehte Alice sich um, etwas fiel ihr aus den Händen und zerbarst klirrend auf
dem Fußboden. Sie zuckten beide erschrocken zusammen. Ein Ausdruck von
Schuldbewusstsein huschte über Alices schmales Gesicht.
    Stumm
starrte Lucy auf die glitzernden Scherben auf dem Holzfußboden. Es war der
mundgeblasene Heißluftballon, den ihr Vater für sie gekauft hatte.
    „Warum bist
du hier drin?”, fragte sie endlich, ungläubig und zornig. „Das ist mein
Zimmer. Der Ballon hat mir gehört. Mach, dass du rauskommst!”
    Alice brach
in Tränen aus und blieb reglos inmitten der Scherben stehen.
    Von dem Lärm
alarmiert, kam ihre Mutter ins Zimmer gerannt. „Alice!” Sie lief auf das
Mädchen zu und hob es hoch, weg von den Glasscherben. „Baby, bist du verletzt?
Was ist passiert?”
    „Lucy hat
mich erschreckt”, schluchzte Alice.
    „Sie hat
meinen Glasballon fallen lassen”, stieß Lucy wütend hervor. „Sie ist
einfach in mein Zimmer gegangen, ohne zu fragen, und hat ihn kaputt
gemacht.”
    Ihre Mutter
hielt Alice im Arm und strich ihr übers Haar. „Das Wichtigste ist doch, dass
niemandem etwas passiert ist.”
    „Das Wichtigste
ist, dass sie etwas kaputt gemacht hat, das mir gehört!”
    Ihre Mutter
wirkte verärgert und traurig. „Sie war doch nur neugierig. Das war ein
Versehen, Lucy.”
    Zornig
funkelte Lucy ihre kleine Schwester an. „Ich hasse dich. Komm ja nie wieder
hier rein, oder ich reiße dir den Kopf ab.”
    Die Drohung
löste einen neuen Tränenschwall bei Alice aus, und das Gesicht ihrer Mutter
verdüsterte sich. „Das reicht jetzt, Lucy. Ich erwarte von dir, dass du nett zu
deiner Schwester bist, zumal sie so krank war.”
    „Sie ist
nicht mehr krank”, gab Lucy zurück, aber ihre Worte gingen im heftigen
Schluchzen ihrer Schwester unter.
    „Ich
kümmere mich um Alice”, fuhr ihre Mutter fort, „und dann komme ich wieder
und beseitige die Scherben. Fass sie nicht an,
diese Glassplitter sind scharf wie Rasierklingen. Um Himmels willen, Lucy, ich
kaufe dir einen neuen Glasballon.”
    „Ich will
keinen neuen Glasballon”, erwiderte Lucy trotzig, aber ihre Mutter hatte
bereits das Zimmer verlassen, Alice auf dem Arm.
    Lucy kniete
sich vor die Scherben, die auf dem Holzfußboden wie Seifenblasen in allen
Regenbogenfarben schimmerten. Leise schluchzend kauerte sie sich zusammen und
starrte auf den zerbrochenen Ballon, bis ihr alles vor Augen verschwamm. Sie
war erfüllt von Wut, Trauer und einem sehnsüchtigen, nagenden, verzweifelten
Verlangen nach Liebe. Doch plötzlich schienen ihre Gefühle sich von ihr zu
lösen und einfach in der Luft zu verschwinden ...
    Im
schwachen Licht der Lampe erwachten kleine Lichtpunkte zum Leben. Lucy
schluckte die Tränen hinunter, schlang ihre Arme um ihren Oberkörper und atmete
zittrig ein. Sie blinzelte verwirrt, als das tanzende Licht sich vom Boden
erhob und um sie herumwirbelte. Erstaunt wischte sie sich die Tränen aus den
Augen und beobachtete, wie die Lichter um sie kreisten und tanzten. Endlich
begriff sie, was sie sah.
    Glühwürmchen.
    Ein Wunder
nur für sie allein.
    Jede
einzelne Glasscherbe hatte sich in einen lebendigen Funken verwandelt. Langsam
wand sich der tanzende Schwarm Glühwürmchen zum offenen Fenster hinaus in die
Nacht.
    Als ein
paar Minuten später ihre Mutter ins Zimmer zurückkam, saß Lucy auf der
Bettkante und starrte aufs Fenster.
    „Was ist
mit dem Glas passiert?”, fragte ihre Mutter.
    „Es ist
verschwunden”, antwortete Lucy abwesend.
    Dieses
Wunder war ihr Geheimnis. Lucy wusste nicht, woher es gekommen war. Sie wusste
nur, dass es den Raum finden

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