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Zebraland

Zebraland

Titel: Zebraland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Roeder
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in der Nacht des Unfalls gesummt hatte: »Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und kla r …«
    Doch nichts war hell und klar. Der Himmel war bewölkt, das Gras mit Raureif überzogen, es knisterte unter unseren Schritten. Ich fröstelte. Alles sah so anders, so fremd aus. War dieser dunkle Umriss da drüben wirklich meine Bank, auf der ich so oft gesessen hatte? Ich fühlte mich irgendwie beobachtet, als ob da im Dickicht jemand lauerte. Klar, das war total unrealistisch, schließlich wusste Mose nicht, wann wir kommen würden. Doch ich hatte das sichere Gefühl, dass er ganz in unserer Nähe war.
    »Hör auf, Löcher in die Luft zu starren und leg endlich los!«, herrschte Philipp mich an. Er hätte es nie zugegeben, aber ich glaube, er hatte auch Schiss. Ich zog den Reißverschluss des Rucksacks auf und holte die Drahtschere heraus. Dabei versuchte ich nicht auf das Bündel zu achten, das noch im Rucksack lag. Stattdessen konzentrierte ich mich aufs Schneiden. Es war mühsamer, als ich gedacht hatte.
    »Mach schon! Beeil dich!«, spornte Philipp mich an und warf nervöse Blicke nach allen Seiten. Am einen Ende des Weges, am Eingang des Parks, stand Judith Schmiere. Ein Pfiff von ihr und wir würden sofort verschwinden.
    Aber alles blieb still.
    Endlich war das Loch groß genug. Ich bog den Rest des Drahtzauns zurück und Philipp und ich schlüpften nacheinander hindurch. Im Gehege roch es stark nach Heu und Tieren. Es gab einen kleinen Offenstall, in dem die Lamas sich zusammengedrängt hatten.
    Aber das Zebra stand draußen, als hätte es uns erwartet. Geisterhaft schimmerte es im Mondlicht.
    Vorsichtig bewegten wir uns auf das Tier zu.
    Ruhig sah es uns entgegen. Nur seine Ohren zuckten.
    Philipp kramte im Rucksack und wickelte die Pistole aus dem Bündel. Er reichte sie mir mit klammen Fingern. Die Waffe wog schwer in meiner Hand.
    Das Zebra hatte uns die Flanke zugedreht: eine ideale Zielscheibe. Streifen statt Kreise. Sogar ich würde es aus dieser Entfernung treffen.
    Doch dann spürte ich den heuduftenden Atem des Zebras auf meiner Haut. Ich sah in seine dunklen Augen, in denen ein Lächeln zu tanzen schien und die mich an Yasmin erinnerten.
    Die Sache mit Yasmin war ein Unfall gewesen, wir hatten es nicht gewollt. Aber das hie r …
    »Das ist Mord!«, flüsterte ich, einen metallischen Geschmack in der Kehle.
    »Quatsch!«, entgegnete Philipp ruppig. »Es ist ein Zebra, Ziggy. Es ist bloß ein verdammtes Tier!«
    »Eine Scheiß-Hinrichtung ist das! Ich mach das nicht«, sagte ich plötzlich entschlossen und stemmte bockig die Füße in den Lehmboden.
    »War ja klar! Dann mach ich es eben selbst«, zischte Philipp verächtlich und nahm mir die Waffe aus der Hand. »Gib schon her, du Memme! Und jetzt stell dich vor das Loch im Zaun, damit das Biest nicht abhaut.«
    Zögernd trottete ich hinüber zum Zaun.
    »Ich lass mir mein Leben doch nicht versauen, von so einem blöden Zebra!«, hörte ich Philipp hinter meinem Rücken schimpfen. »Nur ein Schuss, dann hat der ganze Spuk ein Ende. Dann sind wir endlich frei.«
    Ich guckte zu Philipp rüber, mein Blick wie von Fäden gezogen. Es ist schrecklich zu wissen, was kommt, und es trotzdem nicht verhindern zu können. Ich wünschte mich weit fort, ans andere Ende der Welt.
    Langsam hob Philipp die Waffe, sein durchgestreckter Arm bebte ganz leicht.
    In Filmen hatte ich das Geräusch, mit dem eine Waffe entsichert wird, natürlich schon oft gehört. Aber in ech t …
    Es war das kälteste Geräusch der Welt.
    Ich schloss fest die Augen.
    Der Schuss krachte. Das Zebra schrie.
    Es schrie wie ein Mensch.
    Ich riss die Augen auf. Da sah ich es mit wirbelnden Hufen auf mich zurasen. Ich sah seine in Panik verdrehten Augen. Die gebleckten Zahnkolben. Das Knochenweiß und das flammende Dunkel der Streifen.
    In letzter Sekunde ließ ich mich zur Seite fallen. Es preschte an mir vorbei, durch das Loch im Zaun, das weiter aufriss, als es sich hindurchzwängte. Einen Moment lang meinte ich seine Hitze zu spüren wie einen Kometenschweif, den es hinter sich herzog. Ich sah ihm nach, als es in die Nacht galoppierte.
    Philipp stand immer noch an derselben Stelle. Das Zebra war so nah an ihm vorbeigestürmt, dass es ihn fast gestreift hätte. Doch er hatte sich nicht gerührt. Jetzt blickte er auf seine rechte Hand, als sei sie etwas Fremdes. Die Waffe glitt ihm aus den Fingern und fiel zu Boden.
    Der Klugscheißer hatte es verfehlt?! Wie

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