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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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Mannes. Sie sei von einem Fluch besessen.
    Der Graf packte sie ungeduldig am Arm. »Kommst du mit, oder ziehst du die Gesellschaft eines Wilden vor?«
    Als sie zögerte, stapfte er hinter den anderen her, die sich allesamt bereits auf den Rückweg zum Boot gemacht hatten – nur Zebulon war zurückgeblieben.
    »Würden Sie in Erwägung ziehen, das Schiff zu verlassen?«, fragte sie, nur halb im Scherz.
    »Nie und nimmer«, erwiderte Zebulon. »Nicht einmal, wenn es hier Gold gäbe.«
    Der Neger, der ihren Wortwechsel beobachtet hatte, nickte Delilah heftig zu und ging dann mit den Seminolen zu der Düne zurück.
    Zebulon und Delilah waren in dem Rettungsboot schon auf halbem Weg zur
Rhinelander
zurück, als der Neger noch einmal oben auf der Düne erschien.
    Er spannte einen langen Bogen und schoss in hoher Flugbahn einen Pfeil in ihre Richtung ab. Er verfehlte das Boot nur um einige Handbreit.

Z EBULON LAG IN SEINER K OJE und lauschte den Rufen der Matrosen, die in die Takelage aufenterten. Stunden später, das Schiff unter Vollzeug, vernahm er Klänge aus der Nachbarkabine, volltönende, melancholische Akkorde von einem Instrument, das er noch nie gehört hatte. Sie erinnerten ihn an die Form von Delilahs Fesseln und ihre langsam wiegenden Hüften, als sie aus dem Boot gestiegen war.
    An diesem Abend saß sie beim Dinner neben dem Grafen am Ende eines rechteckigen Eichentisches, der an vier an der Decke befestigten Tauen hing. Der Kapitän saß in der Mitte und schwadronierte über sein Lieblingsthema: die Gier der Welt nach Gold, auf Kosten von Freiheit und Glück.
    »Das Gold ist ein Fluch«, erklärte der Kapitän, »eine gefährliche Geliebte, die jeden verführt, der ihr in den Weg kommt. Ich befinde mich auf meiner dritten Reise nach Kalifornien. Auf der Hinfahrt ist man stets voller Hoffnung, angetrieben von Sucht und Gier. Wenn man zurückkehrt, ist alles verloren und trostlos.«
    Die meisten Passagiere achteten nicht mehr auf ihn, sie hatten diese Rede auf der ganzen Fahrt über den Atlantik bis in die Karibik zu hören bekommen.
    Der Kapitän richtete sein Augenmerk auf Zebulon, der, abgesehen von anderen Aspekten, die ihn interessant erscheinen ließen, ein neuer Zuhörer war. »Wie man hört, sind Sie in Kalifornien gewesen, Mister Shook. Ich würde gerne wissen, warum Sie sich zur Rückkehr entschlossen haben.«
    »Vielleicht könnte man sagen, dass mein Eimer ein Loch bekommen hat.«
    »Und jetzt kehren Sie zurück, um Ihren Eimer wieder zu füllen?«
    Zebulon nickte. Er sah durch ein Bullauge grün phosphoreszierende Pünktchen über dem schwarz glänzenden Wasser tanzen.
    »Das Gold ist ein Segen und liefert den Treibstoff für Handel und Verkehr«, steuerte Artemis Stebbins bei, der Journalist aus New York. »In der gesamten Weltgeschichte hat es nie auch nur annähernd so etwas gegeben. Gott sei Dank gibt es hierzulande den Goldstandard!«
    »Ein Segen, der auch seine Opfer fordern wird«, ergänzte der Kapitän.
    »Den Preis müssen wir zahlen«, sagte Cox.
    »Ich zahle gern«, sagte der Finne. »Ich will reich sein.«
    »Wer nichts riskiert, ist bereits tot«, warf der polnische Kaufmann ein.
    »Mein Bruder und ich haben es schon einmal versucht, und jetzt versuchen wir es noch mal«, sagte Heinrich, der ältere der beiden deutschen Händler. »Was bleibt uns anderes übrig? Modische Schühchen und Damenunterwäsche verkaufen?«
    »Es gibt Menschen, die Ihnen zustimmen würden«, bemerkte der Kapitän. »Geschäftsleute, Prediger, Ärzte, Soldaten, Verbrecher. Gute und schlechte Menschen, allesamt auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit. Mit welchem Ziel? An der Cholera zu sterben, skalpiert oder erschossen oder in den Wahnsinn getrieben zu werden, ohne dass jemand ein Gebet an ihren namenlosen Gräbern spricht? Warum? Ich sage euch, warum: Habgier. Sonst nichts.«
    Er blickte in die Runde. »Ich schlafe nachts, weil ich dieses Schiff zu meinem Gefängnis gemacht habe. Diese Entscheidung hat mich frei gemacht.«
    »Sie sind dumm«, sagte Heinrich. »Wir sind hier. Wo sind wir sonst? Wir machen weiter. Niemand weiß, was geschehen wird.«
    »Nichts verläuft jemals in gerader Linie«, sagte der Graf, »auch wenn man den Menschen davon überzeugen muss, dass es so ist. Sonst bleibt ihm keine Hoffnung.«
    »Hoffnung?« Der Kapitän zündete sich eine Zigarre an, zufrieden, dass endlich ein anregendes Gespräch in Gang gekommen war. »Der Mensch ist kein Hai, der sich nur vorwärts bewegt. Er geht

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