Zebulon
»Ist es dir wirklich ernst mit diesem Angebot, Ivan? Du weißt, wozu es führt, wenn du deinen Impulsen nachgibst.«
»Völlig ernst«, erwiderte der Graf, und seine Stimme wurde lauter. »Wir brauchen einen erfahrenen Mann, der uns mit den Vorräten und beim Transport hilft, jemanden, der uns vor Gefahren schützt, wenn welche auftauchen. Einen Mann wie …«
»Zebulon Shook«, hörte Zebulon sich sagen. »
A su ordonez
. Zu Ihren Diensten. Ich bekomme einen festen Lohn, und alles Gold, das Sie finden, wird dreißig-siebzig geteilt.«
Der Graf zögerte, schaute Delilah an, die über das Angebot nachdachte und dann den Kopf schüttelte.
»Zwanzig-achtzig«, sagte der Graf.
»Abgemacht«, erwiderte Zebulon.
Der Graf schüttelte ihm die Hand. »Das Schiff ist die
Rhinelander
. Deutsch. Gut ausgestattet. Sie können es nicht verfehlen: Es ist ein dreimastiges Handelsschiff, und die Galionsfigur ist eine barbusige Frau mit einer Reihe dreiköpfiger Schlangen um den Hals. Eine bei Seeleuten beliebte Göttin. Sagt man jedenfalls. Von unserem Kapitän weiß ich, dass sie die schöne Frau aus der griechischen Mythologie darstellt, die das tosende Meer beruhigt.«
»Na, das ist doch was«, sagte der Engländer. »Obwohl man ja mit einer schönen Frau nie vorsichtig genug sein kann. Meinen Sie nicht auch? Auf jeden Fall sind Sie uns willkommen an Bord, Mister Shook.«
Nebenan hörte Zebulon Billardkugeln klicken. An Delilah vorbei ging er durch die Lobby und das Restaurant in einen Salon, in dem ein Billardtisch stand.
Er stieß die weiße Kugel ein wenig herum, nur um sich zu beweisen, dass er es noch nicht verlernt hatte. Dann legte er das Queue auf den Tisch und machte sich, ohne seine neuen Arbeitgeber eines Blickes zu würdigen, auf den Weg zum Hafen.
D IE
R HINELANDER
SEGELTE DURCH aufgewühlte Gewässer, ihre Laderäume voll mit Vorräten für die kalifornischen Goldfelder. Zebulon, der seekrank in seiner Kabine bleiben musste, nahm es nur undeutlich wahr, als der Wind plötzlich mit Sturmstärke auf West umsprang und mit lautem Kreischen das Ruder losriss, so dass es ein Loch ins Heck zu schlagen drohte. Nachdem der Schiffszimmermann die Steuerleinen gekappt hatte, trieb das Schiff zwei Tage ruderlos dahin und stand schließlich vor der Westküste Floridas.
Als sich Zebulon endlich an Deck blicken ließ, war das Meer eine spiegelglatte blaue Fläche, und der Zimmermann reparierte das Ruder. Die meisten Passagiere drängten sich an der Steuerbordreling und schauten gebannt zu einer Landzunge hinüber. Hohe, wellenförmige Sanddünen flimmerten dort in den Hitzewellen, und die Senken waren mit Mangroven und Krüppelkiefern gesprenkelt.
Hinter ihm sagte jemand: »Eine scheußliche Unpässlichkeit,
mal de mer
. Bringt einen dazu, das Meer zu verfluchen. Viel besser, die Welt wäre platt. Dann könnte man über den Rand hinaussegeln, und die liebe Seele hätte Ruhe, meinen Sie nicht auch?«
Der Engländer aus dem Hotel in Veracruz reichte ihm eine schlaffe Hand. »Archibald Cox. Ich glaube, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden.«
Zebulon nickte kaum merklich. Seine Aufmerksamkeit galt Delilah, die mit dem Grafen an der Heckreling stand. Sie trug ein weißes Musselinkleid, das ihr bis zu den nackten Füßen reichte, und ein locker gebundenes schwarzes Kopftuch.
»Ein seltsamer Vogel, der Russe«, redete Cox weiter. »War mal Militärattaché an der Londoner Botschaft. Ein bisschen übertrieben, wie er sich mit der ägyptischen Hure aufspielt oder als was sie sich dieser Tage ausgibt.«
Er zeigte zur Poop, von der eine stattliche Gestalt mit schräg sitzendem Hut und schwarzer, hochgeschlossener Uniform auf die Besatzung hinabschaute, die damit beschäftigt war, ein Rettungsboot auszubringen. »Ein perverser alter Mistkerl, unser Kapitän. Hat’s mit Drill und Philosophie. Jetzt schickt er uns an Land, damit wir uns die Füße vertreten.«
Sie gesellten sich zu dem Grafen und Delilah in dem Rettungsboot, zusammen mit dem Ersten, drei Matrosen und den übrigen Passagieren: zwei deutschen Kaufleuten mittleren Alters, die auf Hacken und Schaufeln spezialisiert waren, einem polnischen Textilhändler, einem finnischen Soldaten, nach dem in drei europäischen Ländern wegen Urkundenfälschung und Waffenhandels gefahndet wurde, und einem New Yorker Journalisten, der den Auftrag hatte, eine Artikelserie über den Goldrausch zu schreiben. Sie alle waren neugierig auf Zebulon, der, wie sie vom Grafen gehört
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