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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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rückwärts. Er weicht nicht von der Stelle. Indem er die Richtung wechselt, entgeht er der Langeweile, dem größten Fluch überhaupt, wie ich behaupten möchte.«
    »Fluch?«, fragte der Pole. »Was für ein Fluch? Ich kenne keinen Fluch.«
    Zebulon spürte Delilahs Hand auf seinem Knie. Als er hinuntergriff, schlossen sich seine Finger um ein Stück Butter. »Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Göttern«, sagte Hans.
    »Sonst wären wir Esel«, erwiderte Heinrich.
    »Besser neue Götter als alte Dämonen oder die Höllenhunde«, ergänzte der Pole.
    »Ein Mann braucht ein Ziel«, beharrte Cox. »Sonst blüht ihm das Chaos.«
    »Chaos.« Der Graf fasste nach Delilahs Hand. »Der Ursprung der Schöpfung.«
    Der Graf tauschte seinen Teller mit dem Delilahs, der unberührt geblieben war. »Warum würden wir sonst den Stillstand und die Langeweile einer Seereise ertragen?«
    »Als ich jung war, ich schlafe auf dreckigem Fußboden«, sagte der Finne. »Ich bin kalt und einsam. Kosaken töten meine Mutter und Vater. Wenn ich Gold finde, ich kaufe eine Frau und mache ein großes Haus. Ich hab Mauern im Innern von Mauern und öffne nie die Tür.«
    »Und Sie, Mister Shook?«, fragte der Journalist. »Was meinen Sie?«
    »Ein Mann macht so viel Beute, wie er kann, und er strebt in höheres Gelände«, erwiderte Zebulon. »Wenn er Glück hat, kann er es noch mal tun.«
    Der Kapitän nickte. »Wenn in meiner Welt ein Seefahrer mitten in einem Sturm vor dem Wind segelt, schließt er einen Vertrag mit der Natur. Entweder das, oder er findet sich auf dem Grund des Meeres wieder.« Er schaute zu Delilah hinüber. »Verehrteste, da Sie die einzige Frau unter uns sind, wüsste ich gern, welcher Meinung Sie sind.«
    »Ich habe keine Meinung«, sagte Delilah. »Ich finde mich mit dem ab, was vorhanden ist.«
    Cox hob sein Weinglas. »Ein Toast auf eine weise Frau.«
    Der Graf klopfte mit der Gabel an sein Glas. »Ein Lied. Ein Lied von Delilah!«
    »Hört! Hört! Hört!«, intonierten die anderen im Chor.
    Sie schüttelte den Kopf und warf dem Grafen einen flehentlichen Blick zu.
    »Wenn schon kein Lied, dann wenigstens ein Gedicht«, beharrte der Graf.
    »Ich kenne keine Gedichte«, sagte sie und senkte den Blick. »Und ich kenne keine Lieder.« Dann stand sie auf, ohne irgendjemanden anzusehen, und verließ die Kajüte.
    Der Rest des Dinners verging unter zerstreutem Gerede: »Ob es regnen wird …«, »So feucht …«, »Wann erreichen wir den Äquator …«, »Machen die Deutschen oder die Belgier die besseren Reibekuchen …«, »Ich verabscheue die französische Oper – kein Vergleich mit den Italienern …«, »Was Fisch angeht, kann es keiner den Griechen gleichtun …«, »Aber die Franzosen … ihre Bouillabaisse … unübertrefflich …«
    Keiner außer dem Grafen achtete darauf, als Zebulon vom Tisch aufstand.
    Zebulon stand auf dem Achterdeck, als der Graf erschien und ihm eine Zigarre anbot. »Mexikanisch, so leid es mir tut. Kein Vergleich mit einer Havanna.«
    »Ich sage nie nein, wenn es was zu rauchen gibt«, erwiderte Zebulon und nahm die Zigarre.
    »Welch eine melancholische Ouvertüre«, bemerkte der Graf. »So anders als die falschen Versprechen der Morgenröte. Aber Enden sind wohl immer komplizierter als Anfänge, meinen Sie nicht auch …?«
    Er zeigte auf die sinkende Sonne über dem Horizont. »Schauen Sie! Da geht sie dahin. Wie eine verwelkte Blume.«
    »Oder eine zerquetschte Tomate«, meinte Zebulon.
    »Oder ein Osterhut«, erwiderte der Graf, überrascht von Zebulons Vergleich.
    »Ein Daumen, der unter ein Wagenrad gekommen ist«, fuhr Zebulon fort.
    »Ein roter Sombrero«, antwortete der Graf.
    »Eine zerdrückte Süßkartoffel.«
    »Ein Blutfleck.«
    »Also sind wir uns einig«, sagte der Graf. »Alles ist vergänglich, einschließlich der Natur, und Sie und ich und alle anderen sind nicht, was wir zu sein scheinen.«
    »Da kann ich nicht mitreden«, meinte Zebulon.
    Der Graf zeigte auf eine ferne Regenfahne. »Die Standarten einer Armee auf dem Rückzug?«
    »Wo ist Delilah?«, fragte Zebulon.
    Der Graf zuckte die Achseln, den Blick auf der Regenfahne, die sich im Dunkeln verlor. »Sie wartet auf mich, würde ich vermuten. Und wenn nicht, dann ist sie vielleicht über Bord gesprungen. Und hat uns zurückgelassen … ja, mit was genau? Mit den Überresten einer großen Schlacht?«
    Er salutierte vor Zebulon und ging unter Deck.
    In der Nacht wurde Zebulon von einem plötzlichen Regenguss

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