Zebulon
dass es aufhörte zu regnen. Als es weiterregnete und sie noch immer unschlüssig waren, wohin sie sich wenden sollten, beschlossen sie, nach Norden zu reiten, weil sie nicht in den Süden zurück wollten und nicht wussten, wo sie sonst hätten hingehen sollen.
»Norden«, sagte Zebulon. »Alles andere ist aufgebraucht.«
Z EBULON , D ELILAH UND L ARGE M ARGE ritten über steile, zerklüftete Felsen, wandten sich dann landeinwärts und ritten etwa parallel zur Küste weiter. Nach drei Tagen kamen sie an einen schmalen Fluss. Als sie ihm Richtung Meer folgten, verwandelte sich der Regen in weichen Nebel, der das dichte Grün der Wälder jungfräulich erscheinen ließ, so als hätte noch nie jemand hier gelebt.
Sie mussten absitzen und führten ihre Pferde durch dichte Wäldchen von Pappeln und Schierlingstannen. Zur Mündung hin wurde der Fluss breiter und träger. Auf der windabgewandten Seite einer großen Halbinsel sahen sie aus der Ferne winzig erscheinende Häuschen, die sich um eine Sägemühle scharten. Weiter vorn, dort wo der Fluss sich mit dem Meer vereinigte, blies ein starker Wind Schleier aus weißem Sand hoch in die Luft.
Als sie ihre Pferde um eine Windung des Flusses führten, hörten sie Gewehrschüsse.
Vier russische Matrosen in zu großen Kitteln und schlabbrigen Hosen standen in einem mit Segeltuch bespannten langen Beiboot und schossen auf eine Herde Seeotter, die in einem Tangwald Seeigel fraßen.
Ein großer Otter saß auf einer Klippe und schaute zu den Matrosen hinüber. Als wollte er um Schonung flehen, hielt er eine Vorderpfote hoch, bedeckte damit seine Augen und nahm sie wieder herunter. Ein Dutzend Artgenossen lagen bereits tot an der Küste, die Vorderpfoten sanft über der Brust gekreuzt, als hätten sie sich im letzten Moment in ihr Schicksal ergeben.
Delilah stieß einen Schrei aus, aber nicht wegen der Otter.
Es war die
Rhinelander
, die mit Schüssen aus einer Heckkanone ihre Ankunft ankündigte, während sie in die Flussmündung segelte. Sie war frisch gestrichen und hatte neue Segel, und aus ihrem Bug ragte eine Reihe bronzener Drehbassen.
Sie sahen dem Schiff vom Flussufer aus nach, bis nur noch seine Positionslichter über dem schwarzen Wasser auszumachen waren. Selbst für Zebulon und Large Marge, die geschworen hatten, nie wieder an Bord eines Schiffs zu gehen, war die
Rhinelander
ein unverhoffter Hoffnungsstrahl, der sie immerhin so weit aufmunterte, dass sie weiterritten.
Am Nachmittag des folgenden Tages erreichten sie die Halbinsel, auf der sie tief eingegrabene Wagenfurchen entdeckten, die zu einer Ansammlung von Hütten und Lachsgestellen führten. Der Vollmond ging auf, als die Sonne sank, so dass es in der Dämmerung schien, als befänden sich Mond und Sonne auf Kollisionskurs.
Die einzige Straße der Siedlung war menschenleer, bis auf ein paar Betrunkene, die in Hauseingängen schliefen oder sich auf nassen Planken ausgestreckt hatten. Ein Hund bellte, kalte Nebelstreife zogen über die Flussmündung und glitten um die Ecke eines Handelspostens und das halbfertige Gerüst einer im Bau befindlichen Kirche. Am Ende der Straße, hinter der Sägemühle und mehreren großen Lagerhallen, klimperte jemand eine Tanzmelodie auf einem Klavier im Trail’s End Saloon, einem windschiefen zweistöckigen Gebäude aus Treibholz und frisch geschnittenen Zypressenplanken.
Das Dach der langen Veranda vor dem Saloon ruhte auf einer Reihe Narwal-Stoßzähne. Die Fenster beiderseits der Eingangstür gingen auf die Mündung und einen verfallenen Kai hinaus, an dem die
Rhinelander
vertäut war. Neben ihr lagen zwei russische Fischerboote hinter einem seetüchtigen Kanu mit hoch aufgebogenem Bug, auf dem ein geschnitzter Adler seine Schwingen ausbreitete. Weiter die Küste hinauf, im Nebel kaum auszumachen, bewegte sich ein Knüppeldamm wie eine Wellen schlagende Straße.
Zwei Männer, die auf dem Heck der
Rhinelander
Zigaretten rauchten, brachen in lautes Gelächter aus.
»Das einzige Schiff, auf dem ich jemals gewesen bin, war dieses Gefängnisschiff«, sagte Large Marge. »Man müsste mich nackt ausziehen und mir das Herz rausschneiden, bevor ich noch mal auf so ein Ding geh.«
Der Wind sprang um, und die
Rhinelander
verschwand in einer Nebelbank.
Der einzige Weg zu dem Saloon führte auf einer schmalen Planke über einen breiten Graben. Als Zebulon die Planke betrat, quakte unter ihm ein Frosch. Er schaute hinab und sah einen Ziegenbock, der zu ihm aufblickte und stoisch
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