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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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kauend Abfälle fraß.
    Er war wie gelähmt. Einmal auf der anderen Seite, würde er nicht mehr zurück können.
    »Wer ist da drüben?«, schrie ein kleiner Junge vom Ende der Planke. Sein kleiner Körper war im Nebel nur als unscharfer Umriss erkennbar.
    »Sind Sie von dem Schiff?«, fragte der Junge. »Weil wenn Sie nicht von dem Schiff sind, woher kommen Sie dann?«
    Auf einer Planke zwischen den Welten, dachte Zebulon und machte noch einen Schritt. Ein Stein traf vor ihm die Planke, sprang hoch und fiel in den Graben.
    »Sagen Sie was, Mister«, rief der Junge, »damit ich weiß, dass Sie kein Geist sind.«
    Zebulon machte einen kleinen Schritt vorwärts. Dann noch einen. Dann blieb er stehen.
    »Was ist?«, brummte Large Marge hinter ihm. »Muss ich dir die Hand halten?«
    Ein Frosch quakte in dem Graben.
    Die Worte des Jungen kamen aus dem Nebel.
    »Können Sie mich hören, Mister?« Jetzt schwebten die Worte des Kindes scheinbar irgendwo über ihm.
    »Wir sind aus Kalifornien«, antwortete Large Marge.
    »Seid ihr hier herauf gekommen, um zu fischen?«
    Zebulon machte noch einen Schritt. Jetzt sah er den Jungen. Er trug einen Regenumhang, Gummistiefel und eine in die Stirn gezogene Wollmütze.
    »He, Junge«, rief Large Marge. »Kriegt man in dem Saloon was zu essen?«
    »Die haben Essen, aber ich darf da nicht rein. Meine Ma sagt, da drin wird man erschossen und so.«
    »Du meinst, da wird man wegen dem Essen erschossen?«, fragte Large Marge.
    »Meine Ma sagt, die Leute gehen da rein und spielen Karten und albern rum, und manche schießen aufeinander, und manche kommen dann nicht wieder raus, weil sie tot sind.«
    Der Junge warf wieder einen Stein, dann noch zwei, dann lief er in den Nebel davon.
    Zebulon machte noch ein paar Schritte, und plötzlich war er auf der anderen Seite.
    Ein kleiner, o-beiniger Mann in einem Schafspelz stand vor ihm am Rand der Saloon-Veranda und urinierte.
    »Keine Sorge wegen dem Jungen«, sagte er. »Er hat gedacht, ihr seid vielleicht ein Haufen Geister. Er kriegt Angst, wenn ein Schiff einläuft und Fremde sich hier rumtreiben. Letzte Woche hat er mit angesehen, wie einer erschossen und in den Straßengraben geworfen wurde. Seitdem sieht er Gespenster. Wenn es neblig wird, sag ich ihm, er soll sich hier rausstellen, damit er sieht, dass es so was wie Geister nicht gibt. So lernt er mit seiner Angst umzugehen.«
    Er brach ab und musterte Zebulon. »Kenn ich Sie nicht?« Er griff nach seiner Pistole. »Moment mal, ich hab doch Ihr Bild gesehen. Auf einem Steckbrief auf dem Schiff, das gerade angelegt hat, der
Rhinelander
. Hat in der Kapitänskajüte gehangen. Tausend Dollar Belohnung für Zebulon Shook, den Gesetzlosen. Und der hat ausgesehen wie Sie.«
    Delilah kam hinter Zebulon heran. »Vielleicht haben Sie nicht gehört, was mit Zebulon Shook passiert ist. Die haben ihn in Calabasas Springs gehängt, in Kalifornien. Die ganze Stadt war da und hat zugesehen, wie sie ihn aufgeknüpft haben. Hat in der Zeitung gestanden.«
    »Ich weiß, was ich gesehen hab«, sagte der O-Beinige. »Mehr sag ich gar nicht.«
    »Jeder macht mal einen Fehler«, sagte Zebulon. »Aber wenn Sie jemanden hinterrücks abknallen wollen, mich zum Beispiel, stecken Sie vorher wenigstens Ihren Pimmel in die Hose.«
    Er ging an ihm vorbei in den Saloon, ohne sich um seine Reaktion zu kümmern.
    Der O-Beinige sah zu Large Marge und Delilah hin und dann zu den zwei Huren, die ihn durchs Fenster auslachten.
    »Scheiß Ausländer«, sagte er, während er seinen Pimmel in die Hose steckte. »Wen interessiert’s, was der denkt, wer er ist oder wer er nicht ist? Mich nicht. Aber ich weiß, was ich gesehen hab.«
    Als Large Marge sich an ihm vorbeidrückte, rammte sie ihn von hinten mit der Schulter, sodass er kopfüber in den Graben fiel.

Z WEI AN DER NIEDRIGEN D ECKE hängende Öllampen tauchten den verräucherten Raum in flackerndes Licht. Mehrere andere Lampen waren leer oder zerschossen. Als sie auf den Tresen zugingen, kamen sie an einer Klapperschlange vorbei, die sich in einem Glaskrug auf einem Klavier zusammengerollt hatte. Der Pianist warf ihnen einen Blick aus halb geschlossenen, wässrigen Augen zu und schlug dann mehrere grollende, dissonante Akkorde an, die das Klavier erschütterten, woraufhin die Schlange den Kopf hin und her drehte, als suchte sie einen Ausweg oder jemanden, in den sie ihre Giftzähne schlagen konnte.
    Am Tresen tranken sie mehrere Runden Screech, einen Whiskey aus der Gegend,

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