Zebulon
der ihnen wie ein Brandeisen in die Eingeweide fuhr. Ein unvollendetes Wandgemälde hinter dem Tresen zeigte zwei Kwakiutl-Fischer, die im Bug eines Kriegskanus standen, mit erhobenen Speeren, mit denen sie einen blasenden Pottwal erlegen wollten. In der Ferne, unter einem düster drohenden Himmel, durchpflügte ein dreimastiger Schoner mit vollen Segeln ein sonniges Meer; aus Bug und Heck ragten die Rohre von vier Drehbassen. Das Schiff segelte auf zwei Männer und eine Frau zu, die an einer felsigen Küste saßen. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen. Über dem Wandbild hingen in einer Reihe fünf Elchköpfe, die mit ausgeschossenen Augen den Raum überblickten.
»Hier war ich schon mal«, sagte Zebulon und ließ den Blick durch den Raum schweifen, in dem Dorfheimer und Hatchet Jack Karten spielten.
»Das Gefühl kenn ich«, sagte Large Marge. »Nur weiß ich nicht, wann ich da war oder mit wem. Nicht dass das wichtig wäre. Ich hab meinen Steiß hier nicht raufgeschleppt, um mich zu erinnern, woher ich komme. Ich bin hier, um zu vergessen.«
Delilah stieß ihr Whiskeyglas weg und ging zu dem Klavierspieler hinüber, als dieser gerade ein neues Stück begann. Die Schlange bewegte sich immer noch züngelnd in dem Glaskrug. Delilah blickte auf die Hände des Klavierspielers, die über die ramponierten Tasten glitten, und Zebulon ging an ihr vorbei und setzte sich zu Dorfheimer und Hatchet Jack.
»Sieh an, wen haben wir denn da«, sagte Dorfheimer, als Zebulon sein Geld in die Tischmitte schob. »Ich dachte, Sie wären tot oder hinter Gittern. Hab sogar drauf gewettet.«
Zebulon lächelte. »Vielleicht bin ich ja tot.«
»Oder wirst es gleich sein«, sagte Hatchet Jack.
»Willst du mir sagen, dass die Enten in der Schlinge sind?«, fragte Zebulon.
»Außer du siehst das anders.«
Nachdem Zebulon drei Spiele verloren hatte, ging er ans andere Ende des Raums, wo drei Matrosen von der
Rhinelander
Billard spielten.
Delilah schloss die Augen und improvisierte ein Lied. Der Klavierspieler hatte Mühe, die richtigen Begleitakkorde zu finden:
I’ve been here before
,
Or so they say
.
So don’t look for cover
From your backdoor lover
,
Don’t hold on
When he’s already gone
.
Large Marge, die von unerfreulichen Vorahnungen heimgesucht wurde, stellte die goldene Schale des Gefängnisdirektors vor den Barkeeper hin und buchte das teuerste Zimmer im Haus – inklusive Vollpension und Wäsche.
Als sie die Treppe hinaufstapfte, sang Delilah die letzte Strophe:
So don’t ask me to love you
After the fool I’ve been
.
And if you don’t believe I’m sinkin’
,
See what a hole I’m in
.
Sie begann die nächste Strophe, überlegte es sich dann anders und ging zu Dorfheimer und Hatchet Jack hinüber.
»Ich dachte, du wärst längst in Mexiko«, sagte sie zu Hatchet Jack.
»Ich hab’s versucht«, erwiderte er. »Und dann hab ich’s noch mal versucht, obwohl Plaxico mir gesagt hat, ich wär ein Blödmann und sollte aufhören, solange ich noch gut im Rennen liege.«
»Wie hast du uns gefunden?«, fragte Delilah.
»Ich habe euch nicht gefunden. Ihr habt mich gefunden.«
Am anderen Ende des Raums versenkte Zebulon nacheinander drei Kugeln in dieselbe Tasche. Er nahm seinen Gewinn, kam herüber und setzte sich Delilah gegenüber.
»Ich dachte, du hast den Karten abgeschworen«, sagte er.
»Manche Dinge ändern sich«, erwiderte sie. »Auch wenn sie gleich bleiben.«
Zebulon überlegte. Er schaute sich im Raum um, dann sah er Delilah an und schließlich Hatchet Jack. »Du musst dich entscheiden. Er oder ich.«
»Ich hab in letzter Zeit Ärger mit Entscheidungen gehabt«, sagte sie. »Ich bin entschlossen, nie wieder eine Wahl zu treffen.«
»Entscheide dich trotzdem«, sagte Zebulon.
»Ich weiß nicht, was ihr vorhabt«, sagte Dorfheimer, »aber ich rate euch, bleibt bei den Karten. Was passiert ist, ist passiert. Niemand schuldet irgendwem irgendwas. Hier oben haben wir eine Chance, die Vergangenheit hinter uns zu lassen. Ist das nicht eigentlich das Wesen einer Grenze? Ist das nicht die Verheißung? Wir schleppen alle unser Gepäck mit, aber jetzt können wir’s über Bord werfen. Ich schlage ein Spiel vor, das uns hilft, uns zu entspannen und die Dinge nicht zu ernst zu nehmen.«
Er mischte die Karten. »Ich warne euch: Ich hab eine gefährliche Glückssträhne, und ich denke nicht daran, Gefangene zu machen.«
Hatchet Jack schaute Delilah an. »Ich weiß, was er meint. Gefangene halten
Weitere Kostenlose Bücher