Zehn Mythen der Krise
an eine allgemeine Hausse am Aktienmarkt glauben. Die Informationen, die man braucht, um an diesem Markt erfolgreich zu sein, sind folglich nicht Informationen über die individuellen fundamentalen Bedürfnisse oder Leistungen der Marktteilnehmer, sondern Informationen über die Informationen, die voraussichtlich die Erwartungen der Masse der Marktteilnehmer in ihrer Kaufentscheidung leiten werden.
Genau an dieser Stelle bricht das Dogma der effizienten Märkte in sich zusammen. Es ist nun nämlich rational, Vermögenstitel an einem Markt nur deswegen zu kaufen, weil man erwartet, dass andere das Gleiche tun werden – selbst wenn man eigentlich der Überzeugung ist, dass sich die Fundamentaldaten, die dem Vermögenstitel zugrunde liegen, verschlechtern. Kommt es zu einer solchen Herdenbildung, produziert der Finanzmarkt systematisch falsche Preise, da diese mit Angebot und Nachfrage an den realen Märkten nichts mehr zu tun haben. Herdenbildung ist aber der Normalfall an den »Märkten«, und folglich sind die Preise dauerhaft verzerrt.
Der Punkt, den weder die Politiker noch die Ökonomen verstehen, ist dabei eigentlich trivial: An Finanzmärkten, wo von allen Teilnehmern die gleichen Informationen ausgewertet und bewertet werden, ist Herdenbildung absolut rational. Weil die Herde dadurch Gewinne machen kann, dass alle in die gleiche Richtung rennen, muss der normale Marktteilnehmer folgen, will er nicht unter die Hufe kommen. Den berühmten einsamen Wolf, der gegen die Herde wettet, mag es ab und an geben, er spielt aber quantitativ keine Rolle. Die sich selbst erfüllenden Erwartungen der Herde und die falschen Preise kann er niemals verhindern. Deutlicher als an allen anderen Märkten wird das bei Währungsspekulationen sichtbar, wo die Herde die Wechselkurse nachweislich über Jahre gegen die Fundamentaldaten (also vor allem die Preis- und Zinsdifferenzen) und damit in die falsche Richtung bewegen kann. Das richtet fürchterlichen Schaden in der Realwirtschaft an, weil ganze Sektoren der Wirtschaft quasi über Nacht ihre weltwirtschaftlichen Positionen räumen und ihre Arbeiter entlassen müssen. Island und Ungarn sind jüngere Beispiele für dieses Muster, das seit dem Ende eines globalen Währungssystems und unter dem Diktat des Marktes eine Spur der Verwüstung um die Erde gezogen hat. Aber auch an Rohstoffmärkten, einschließlich der Märkte für Grundnahrungsmittel, lassen sich solche Herdenphänomene mit all ihren negativen Folgen aufzeigen. Der Anstieg der Rohstoffpreise und die darauf folgenden Revolten in vielen Ländern sind ein eindrückliches Beispiel dafür (Flassbeck 2010; UNCTAD 2011).
Die Mainstream-Ökonomen und die Politik haben sich über diesen Punkt, der für das Dogma der immer richtigen Preise tödlich ist, mit leichter Hand hinweggesetzt. Sie haben schlicht behauptet, der Markt stabilisiere die Preise der Vermögenstitel. Ein Preis oberhalb oder unterhalb des Gleichgewichtspreises führe dazu, dass jeweils andere Marktteilnehmer kaufen oder verkaufen, weil sie erwarten, dass der Preis wieder zum Gleichgewichtspreis zurückkehrt. Das aber ist falsch, weil niemand den Gleichgewichtspreis kennt, weshalb auch niemand den unbekannten Gleichgewichtspreis stabilisieren kann. Die realen Märkte können ihn nicht bilden, weil sie zu unbedeutend sind, und die Finanzmärkte können ihn nicht finden, weil die Teilnehmer dort ihre Entscheidungen auf der Basis von Informationen über das Verhalten der blinden Herde treffen.
Man kann die Fehlfunktion der Finanzmärkte auf die einfache Formel bringen, dass normale Märkte Knappheit beseitigen, also zu Preissenkungen tendieren, während Finanzmärkte Knappheit schaffen, also zu Preiserhöhungen tendieren. An einem normalen Markt wird ein Investor belohnt, wenn er als Erster eine Knappheit in Gestalt »zu hoher Preise« erkennt und beseitigt; an den Finanzmärkten hingegen wird der Investor belohnt, dem es gelingt, möglichst viele »Investoren« in einen Markt zu locken und damit Preiserhöhungen in Gang zu setzen. Seine Kunst ist es nur, als Erster wieder auszusteigen, also rechtzeitig zu deinvestieren.
MYTHOS II:
Die Regierungen haben erkannt, dass sie handeln müssen
Diesen Mythos wollen wir gerne glauben, weil wir ja immer noch vermuten, demokratisch gewählte Regierungen fühlten sich verpflichtet, die großen Probleme in ihrem Verantwortungsbereich zu verstehen und zu bewältigen. Doch genau das ist ein Irrtum. Die Regierungen sind selbst
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