Zeig mir den Tod
nicht gern Auto, erst recht nicht nachts und bei Matsch und Schnee.
»Ja.«
»Allein?«
»Natürlich allein!«, zischte sie.
Er nickte, spürte Cockoos Krallen schmerzhaft durch den dünnen Pyjama und scheuchte den Kakadu fort. Da überkam ihn Reue. Er hatte kein Recht, Edith zu verdächtigen. Als er gestern Nacht vor Günthers Garderobentür gestanden hatte, zornig, eifersüchtig und traurig, war tatsächlich alles still gewesen. Keine Stimmen in Assmanns Zimmer, kein Tuscheln, erst recht kein Stöhnen. Er war eine Memme, ja. Was hatte er denn erwartet? Dass seine Frau es mit Assmann in dessen Garderobe trieb?
Hätte er gestern Abend schon gewusst, dass Günthers Kinder verschwunden waren und dass Rebecca krank war … Er hätte die Tür zur Garderobe geöffnet. Hätte mit Günther geredet. Er mochte arrogant geworden sein mit den Jahren und skrupellos – aber auch einsam. Zumindest vermutete Uwe das. Und in der momentanen Situation hätte er vielleicht jemanden gebraucht, einen Freund, oder jemanden, der einmal so etwas gewesen war.
Die Nachrichten begannen. »Eine Suchmeldung der Freiburger Polizei beschäftigt Badens Bürger und eine bekannte Künstlerfamilie: Seit Donnerstag früh werden die zehnjährige Rebecca Assmann und ihr achtzehnjähriger Bruder Marius vermisst. Die beiden waren auf dem Weg zur Schule, gesehen wurden sie zuletzt an der Straßenbahn-Haltestelle Loretto-/Ecke Günterstalstraße, wo ein Passant …«
Edith sprang auf und schaltete das Radio ab. »Es ist furchtbar.«
Er schluckte. »Und das, nachdem Annika schon …«
Langsam kam sie auf ihn zu und legte die Hand auf seine Schulter. »Das mit Annika ist vorbei«, sagte sie.
»Nein, ist es nicht. Niemand weiß, was …«
Abrupt zog sie die Hand weg. »Doch, wir alle wissen es.«
Ihr Satz traf ihn wie ein Stein. Edith. Annika. Was hatten die beiden miteinander zu schaffen gehabt? Was wusste seine Frau über Assmanns erstes Kind? Und was über Rebecca und Marius? Er sah zu ihr auf und glaubte, Mitleid und Verachtung in ihrem Gesicht zu lesen.
Reiß dich zusammen! Hör auf zu spinnen.
Er versuchte ein Lächeln. »Wir alle glauben es. Keiner zweifelt noch daran, dass sie tot ist. Aber wissen …?«
Edith wandte sich von ihm ab. »Ich gehe duschen.« Sie ging zur Treppe ins Erdgeschoss, und der Morgenmantel schmiegte sich um ihre schlanke Figur.
»Wie bringt der Kerl es nur fertig, zur Probe zu gehen, wenn seine Kinder spurlos verschwunden sind?«
Sie drehte sich noch einmal um. »Ich weiß es nicht, mein Herz. Was geht in einem Menschen vor, der vielleicht die Kinder verloren hat? Ich weiß es wirklich nicht.« Dann ging sie die Stufen hinunter, das Holz knarrte.
Uwe blickte zu dem leeren Treppenabgang und weinte.
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11
Samstag, 8 Uhr 15
A nnika war krank.« Ehrlinspiel sog tief den Duft der Bäume und der Erde ein und kniff die Augen gegen die grelle Morgensonne zusammen.
Sie antwortete nicht. Schluchzte nur. Schüttelte dann den Kopf. Dabei hatte er gedacht, dass Licht und frische Luft ihr guttun würden. Dass körperliche Bewegung sie entspannte.
»Ich habe heute mit Ingrid Rapp gefrühstückt.« Der Kriminalhauptkommissar blickte auf das Kubusgebäude. Seine Fassade leuchtete weiß. Doch dahinter, im Innern, herrschte finsteres Schwarz. Das Schwarz der Angst und Verzweiflung, der Schwachheit wahrscheinlich und der Täuschung. Und außerhalb der dicken Grundstücksmauern warteten schon jetzt, um kurz nach acht, ein Übertragungswagen des lokalen Fernsehsenders und des Südwestfunkradios – und der unvermeidbare, grellorangefarbene
Plymouth Road Runner Superbird
mit den riesigen Heckflügeln. Nur einer fuhr so einen Wagen. Und nur einer besaß dieses Dauergrinsen schon beim Aussteigen. Mr. Hair. Tageszeitung. Lokalteil.
Eine Amsel schimpfte laut. Ehrlinspiel sah Lene Assmann an. Nur ganz kurz zögerte sie, als er den Namen von Annikas Vorschullehrerin aussprach. Dann knirschten ihre Schritte wieder gleichmäßig neben den seinen im nassen Kies.
»Warum verschweigen Sie uns so viel? Erst Annikas Existenz, und jetzt, dass sie krank war. Was war los mit Annika?«
»Nichts«, flüsterte sie. »Nichts, was mit Marius und Rebecca zu tun hat.«
Das zu beurteilen, dachte Ehrlinspiel, ist für eine verzweifelte Mutter ein denkbar schwieriger Job. »Ingrid Rapp erinnert sich noch genau an Ihre Tochter.« Und ich muss mich daran erinnern, nachher den Tierarzt anzurufen. Bentley hatte zwar gegessen, aber alles wieder
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