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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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los?« Doch der Regisseur war wortlos aufgesprungen und zwischen Bühne und den roten Samtsesseln hinausgeeilt. Sein Assistent hatte Pjotrs Apfeltüte geschnappt und war ihm hinterhergelaufen, auch das Ensemble war wortlos durch die Kulissen verschwunden. Einzig Raphaèl hatte ihm auf die Schulter geklopft, »armer Teufel« gesagt, und die Hörner seiner Mephistopheles-Perücke hatten im Scheinwerferlicht geblitzt.
    Günther sank auf den Stuhl vor dem Schminktisch. Jetzt verstand er. Sie wussten es. Dass die Kinder weg waren. Dass Rebecca krank war. Alle wussten es.
    Auch Edith.
    Nur er und sie waren im Großen Haus zurückgeblieben. Er hatte ihr von der Bühne aus zugelächelt, in die erste Reihe hinab, hinter der die leeren Sitze sich bis zum zweiten Rang hinauf aneinanderdrängten wie die Zähne im Rachen eines Ungeheuers.
    Edith hatte zu ihm hochgesehen. Sein Lächeln hatte sie nicht erwidert.
    »Ich war dir nicht gut genug.« Schweißtropfen hatten sich unter dem öligen Make-up gebildet.
    Sie war aufgestanden. Elegant. Gelassen. Die Handtasche unter den Arm geklemmt. »Du warst hervorragend.
Überraschend
hervorragend.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich weiß nicht, ob ich dir noch einmal helfen kann –« Ihre Schritte hatten geklappert, als sie Richtung Ausgang geeilt war.
    Er war am Bühnenrand entlanggelaufen, hatte den aufgebauschten blauen Rock beobachtet, der leise raschelnd ihre Beine umspielte wie das Meer ein Stück Treibgut. »Du … du hast schon so viel für mich getan, Edith, du, ich … sollen wir …«
    »Nein. Nicht heute.«
    Reglos hatte er am Bühnenrand verharrt, die geöffnete zweiflügelige Tür angestarrt, durch die die Chefdramaturgin verschwunden war. Unter seinen Lidern hatte sich Wasser gesammelt. Vor Zorn.
Natürlich
vor Zorn. Ein Günther Assmann kannte keine Angst. Keine Trauer.
    Er hob die zerknüllte Zeitung auf und strich sie auf dem Tisch glatt. Schluckte. Nahm das Handy aus dem Schrank. Keine Nachricht von Lene. Keine von der Polizei. Nichts.
    Er schlug gegen den Schrank, die Tür sprang auf. Er knallte sie zu. »Verfluchtes altes Zeug, verfluchtes altes Leben, Schrott, alles Schrott!«
    Sein Mund fühlte sich trocken an, wie mit Abschminkpads vollgestopft.
    Schon konnte er die Kollegen reden hören. Rita mit ihrer Zigarette zwischen den gelben Fingern, und Raphaèl und Tom, der nur zu gern in sein Faust-Kostüm schlüpfen würde. Schaut euch Günther an, würden sie hinter vorgehaltener Hand tuscheln, wie skrupellos der ist. Seine Kinder sind verschwunden, die Tochter ist schwerkrank, und er probt, als sei nichts. Wahrscheinlich hat er sie aus dem Haus gejagt. Oder sie sind geflohen vor seinen Lügen, seinem Betrug und seiner Arroganz.
    Er wischte sich mit dem Ärmel den Rotz ab.
    Edith war schuld. Sie hatte ihn dazu gebracht. Das alles war doch
ihre
Idee gewesen. Ihr Gesicht tauchte vor ihm auf, ganz nah, die Tränensäcke und ihre türkisfarbenen Augen, und er spürte ihre trockene Hand mit den vielen Fältchen auf seiner.
    Gänsehaut kroch seinen Rücken hinauf.
    Früher, ja, da war es anders gewesen. Aber das war vorbei. Längst war es egal. War
sie
ihm egal. Er bewunderte sie, das ja. Doch er war nichts weiter als ihr Protegé und sie seine Kontaktperson nach Wien. Er durfte sie nicht verlieren. Nicht zwei Abende vor der Premiere!
    Günther nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Regal, öffnete sie, atmete mit dem Zischen tief durch und trank, schüttete die Flüssigkeit in sich hinein, und aus seinen Mundwinkeln flossen kühle Bäche, rannen über sein Kinn und seinen Hals bis in die Samtjoppe und das Rüschenhemd.
    Dann steckte er sich eine Gauloises an. Rauchen war im Theater verboten, doch wen kümmerte das schon in dieser Nacht. Ohnehin hatte er eine Garderobe für sich. »Hauptrolle, besondere Belastung«, hatte Edith erklärt und gelächelt. »Da musst du dich ganz auf dich konzentrieren können. Lass die anderen zu dritt oder zu viert in eine Garderobe – du bekommst eine einzelne. Als Abschiedsgeschenk vor Wien.« Er hatte genau gewusst, was dahintergesteckt hatte. Manipulation. Begehren.
    Er hielt die Kippe im Mund, hängte die Joppe in den Schrank und schälte sich aus dem Rüschenhemd. Die Asche fiel zu Boden.
    Er musste nach Hause. Schlafen. Nicht bei Lene, das würde er heute nicht ertragen. Das Sofa in seinem Zimmer. Darauf lag noch die zerknüllte Decke der letzten Nächte. Da war es friedlich, da konnte er bei Annika sein, seinen Kopf neben den alten

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