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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Teddybären betten, in dem er manchmal noch immer ihren süßlichen Kindergeruch wahrzunehmen glaubte. Annika würde ihm keine Vorwürfe machen. Nicht wie Lene und Marius, dieser Eigenbrötler, der sich verkroch und diese seltsame Mischung aus elektronischer Musik und Klassik hörte, der weder Ziele noch Ideale hatte so wie er, sein Vater. Nicht wie Rebecca, die behauptete, Marius hätte oft Bauchweh, klar, sicher soff er auch noch heimlich. Dieses Mädchen, das immer quengelte, weil er kaum Zeit hatte, und die Annika so erschreckend ähnlich sah, dass ihr Anblick ihm manchmal das Herz zerriss.
    Er warf die Kippe in das WC und wischte sich mit Toilettenpapier die klebrige Schminke vom Gesicht. Ihm war nach Whisky zumute. Einem doppelten. Doch den Gefallen würde er den Kollegen nicht tun. Nicht denen, die sich in den heruntergekommenen Fluren und Garderoben gegen ihn zusammenrotteten und sich auf der Bühne im Glanz von Applaus und Loyalität sonnten.
    Er zog Hemd und Angorapullover an.
    Blumen, dachte er. Ich muss Blumen an die Gedenkstätte legen, im Park hinter dem Haus. Sobald das hier überstanden ist. Sobald es taut. Zwei Tage noch, dann ist es geschafft. Dann sind die Kinder wieder im Haus, ganz sicher, und ich … ich bin fast schon in Wien! Burgtheater. Das beste Haus der Welt! Endlich. Endlich frei. Endlich geachtet.
    Da hörte er die Schritte. Er erkannte den Rhythmus sofort. Mit dem rechten Fuß trat er immer ein wenig fester auf als mit dem linken. Schon damals war das nicht anders gewesen. Wie oft hatten sie darüber gelacht, dass bei all seinen Schuhen der rechte Absatz immer früher abgetragen war als der linke. Abgetragen. Ja. Wie ihre Freundschaft auch. Doch von der ließ sich kein neues Paar kaufen, kein Zustand wiederherstellen, bei dem ihre Parts ausgeglichen waren und bei dem sie auf demselben Fundament von Respekt und Vertrauen stehen konnte.
    Die Schritte wurden lauter, hallten zwischen den Betonwänden des Flurs. Vor seiner Tür blieben sie stehen. Stille. Günther blickte reglos auf die Klinke und wartete auf ein Klopfen.
Verschwinde,
dachte er,
verschwinde aus meinem Leben,
und er ballte die Hände zu Fäusten.
    Und tatsächlich – die Schritte entfernten sich,
lautes Klack, leises Klack,
immer leiser wurden sie. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und holte tief Luft. Da piepste sein Handy.
Lene!,
dachte er,
die Kinder sind zurück!
Mit einem Schritt war er beim Tisch und blickte auf das Display.
Neue Nachricht von Rebecca,
las er. Zitternd öffnete er die Zeilen. Hörte nichts als das Rauschen des Blutes in seinem Kopf und fühlte die Leere in seinem Herzen. Und die Leere füllte sich mit schwarzem Nichts.

[home]
    10
    Samstag, 23 . März, 6 Uhr 20
    E s war das zweite Mal in zwei Tagen. Und jetzt las er
das!
    Uwe rammte die Mistgabel in das vollgekotete Stroh.
    Fast drei Uhr früh war es gewesen, als Edith sich in das Schlafzimmer geschlichen hatte.
    Mit Schwung warf er die stinkende Masse durch die Stalltür hinaus auf die Schubkarre. Gabel für Gabel. Hörte nur das Schaben der Gabelzinken, wenn sie auf Steinchen im Stroh trafen. Benno, der kranke Schafbock, hatte sich in eine Ecke gekauert, den Kopf zwischen die Vorderbeine gezogen, und sah Uwe im weißen Licht der Metalldampflampe an.
    »Schläfst du?«, hatte Edith geflüstert. Er hatte sie umfasst, in den Nacken geküsst und war eingeschlafen, endlich, nach all den ruhelosen Stunden und seinem kleinen Ausflug dorthin, wo er nie wieder hatte auftauchen wollen. Doch sein Argwohn war stärker gewesen – Ediths Garderobe aber leer. Voller Zorn hatte er nach Günthers Garderobe gesucht. Fest entschlossen, die Tür einzutreten und dem Möchtegern-Star seine Fäuste ins Gesicht zu schlagen. Gewagt hatte er es nicht. Wie immer. Er war letztendlich doch nur eine Memme. War davongeschlichen wie eines seiner gequälten Tiere. Nur dass ihn niemand rettete, so wie er es mit seinen Schützlingen tat.
    Gleich darauf war er wieder erwacht. Edith hatte gleichmäßig neben ihm geatmet, während er sich hin und her gedreht und versucht hatte, die Gedanken zu verscheuchen und sein aufkeimendes Misstrauen zu verbannen. Schließlich war er aufgestanden, um Tee zu trinken und die Wochenendzeitung zu lesen.
    Noch am Briefkasten hatte sein Herz sich zusammengekrampft, und er hatte sich am Türrahmen festgehalten, dann die Filzjacke vom Haken gerissen und sie im Hinausstürmen über den Pyjama gezogen.
    Nicht nachdenken. Nicht grübeln! Aktiv sein.

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