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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Kälte spüren.
Das half.
    Jetzt war es zwanzig nach sechs Uhr früh, und seit einigen Stunden war es ungewöhnlich warm geworden. Die Vorboten des Frühlings. Er lachte bitter auf. Die verschneiten Obstbäume und Wiesen lagen noch wie in dunkles Blei gegossen, und bald würde alles wieder grün und licht sein. Jetzt warf nur das Licht aus dem Stall einen schmalen Streifen auf den Weg zwischen den Gehegen.
    Er trat hinaus und hob die Schubkarre mit einem Ruck an. Als er sie um den Ziegen- und Hasenstall schob, knirschte das Rad im Schneematsch, und seine vollgesogenen Filzpantoffeln schmatzten wie säugende Welpen. Sonst war nichts zu hören. Benno blökte leise, als er mit der leeren Karre zurückkam.
    Er tastete das Tier ab, und der Schafbock zog den Kopf vollends zwischen seine Vorderbeine. »Entschuldige die Unruhe.« Uwe ließ seine Finger Zentimeter für Zentimeter durch die dichte Wolle über die Hinterbeine gleiten, bis hinab zu den Hufen. »Du kannst ja nichts dafür.« Eine Katze kam maunzend herein und begleitete ihn, als er in den Praxisanbau ging und den Medikamentenschrank öffnete. Mit einem schabenden Geräusch zog er die Schublade heraus, nahm zwischen den Belladonna-Globuli und der Lachesis-Injektionslösung die neue Selen-Vitamin-E-Mischung heraus und zog die Spritze auf. Dann wog er vierzig Milligramm Mineralsalz ab und ging in den Stall zurück. Die Weißmuskelkrankheit ließ Benno noch immer unsicher und viel zu steif stehen und gehen. »Wir kriegen das hin«, flüsterte er und stach die Nadel tief in Bennos Flanke. Dann stellte er den Steinguttopf mit dem Salz vor den Bock. Sofort leckte er es auf. »Sehr gut«, sagte Uwe. »Wir kriegen
alles
hin.«
    Zurück im Haus, hantierte er extra laut mit dem Teekessel und dem Geschirr und drehte das Radio auf. Der Südwestfunk 2 sendete das Brahms-Violinkonzert, und Cockoo, den er aus der Voliere mitgebracht hatte, kreischte, als Gidon Kremer zu seiner meisterhaften Kadenz ansetzte. »Aua, aua.«
    Edith kam fünf Minuten später in die Küche. Sehr gut. Uwes Taktik ging also auf.
    Ihr goldgelber, glänzender Morgenmantel bildete einen auffallenden Kontrast zu ihrem stumpfen Haar, das nach allen Seiten abstand. Die Tränensäcke und dunklen Ringe unter ihren Augen ließen sie erschöpft aussehen. Sie küsste ihn auf die Stirn. »Wie siehst du denn aus? Und warum ist es hier so laut? Um die Uhrzeit?«
    »Ich war schon bei den Tieren.«
    »Im Schlafanzug?« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Und in Hausschuhen? Was ist los mit dir, mein Herz? Du holst dir ja den Tod! Zieh dir etwas Trockenes an!«
    »Benno ging’s nicht so«, sagte er betont munter.
    »Das Muskelzeug?«
    »Aua, auaaa.« Cockoo flog von einem Fachwerkbalken herab auf Uwes Schulter.
    »Mhm.« Er schenkte zwei Tassen Tee ein. »Wie war die zweite Hauptprobe?«
    Sie sank auf die Küchenbank und hielt mit der Linken den Morgenmantel vor der Brust zusammen. »Gut.«
    »War er wieder grandios?« Er dehnte das letzte Wort. »So wie gestern?«
    »Günther?«
    »Assmann. Ja.«
    »Seit wann fragst du freiwillig nach Günther?« Sie lächelte.
    »Nur so.« Er stellte die Tassen auf den Tisch, überlegte, wie viele Male sie hier schon beim Tee gesessen und das Thema gemieden hatten. Wie oft
er
es gemieden hatte.
    »Grandios, ja, so könnte man sagen.« Sie umfasste die Tasse und starrte hinein.
    Uwe betrachtete ihre Hände. Schlank, mit kleinen Fältchen und kräftigen Knöcheln lagen sie um den Keramikbecher, den sie vor vielen Jahren auf dem Kunsthandwerkermarkt in Staufen gekauft hatten. Von der Berührung dieser Hände phantasierte er noch heute, wenn seine Frau geschäftlich verreist oder abends lange weg war. Wortlos schob er ihr die Zeitung hin, bemüht, gelassen zu wirken. Souverän.
    Sie blickte kurz auf die Titelseite, dann zu ihm.
    Im Radio wurde der Jingle vor den Nachrichten eingespielt.
    »Rebecca und Marius Assmann. Die Kinder deines Fausts.«
    Sie rührte sich nicht.
    »Willst du es nicht lesen? Oder weißt du schon alles?«
    »Günther hat nichts gesagt.«
    Uwe holte tief Luft. »Auch nicht nach der Probe? In den Stunden hinterher?« Noch während er es aussprach, hätte er sich ohrfeigen können.
    Ihre Augen blitzten. »Das mit den Kindern ging wie ein Strohfeuer durch das Ensemble. Extrablatt vom Nachmittag.« Sie beugte sich zu ihm. »Und heute Nacht«, zischte sie, »bin ich herumgefahren.«
    »Von zweiundzwanzig Uhr bis kurz vor drei?« Uwe glaubte ihr kein Wort. Edith fuhr

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