Zeit der Dunkelheit (Band 4)
Wasser mit, aber sonst roch Häherpfote nichts Vertrautes. Er durchforstete die Gedanken des Fremden, aber die zahllosen Bilder und Vorstellungen verwirrten ihn nur: Bäume, Himmel, Blitze, röhrende Monster und endlos rollendes, grünes Wasser, aber keines der Bilder blieb lange genug bestehen, um es richtig zu erfassen. Es war, als würde er eine bewegte Wasserfläche betrachten, die im Sonnenschein glitzerte.
Er stieß Distelpfote an. »Sag schon!«
»Er … er ist groß«, miaute sie geistesabwesend. »Größer als Feuerstern. Er hat ein spitzes Gesicht und seine Ohren sind groß und liegen weit auseinander. Sein Fell ist länger als unseres – dunkelbraun und weiß mit hellen Schildpattflecken – und sein Schwanz …« Ihr Miauen verebbte. »Ich hab ihn schon mal gesehen! Es ist der Löwe.«
Häherpfote stockte der Atem. »Was?«
Sie flüsterte noch leiser weiter. »Oben im Moor, als hinter ihm die Sonne aufging. Er sah wie ein Löwe aus.«
Häherpfote wollte mehr erfahren, aber da lief Feuerstern dem Fremden entgegen. Im Felsenkessel knisterte die Luft vor Spannung.
»Dornenkralle.« Mit energischer Stimme wandte sich Feuerstern an den Ältesten der Krieger. »Warum hast du diese Katze hierhergeführt, in unser Lager?«
»Ich – ich …« Dornenkralle schien um Worte verlegen und Häherpfote fing die wirren Gedanken des Kriegers auf. Er wusste selbst nicht mehr so genau, warum er einen vollkommen Fremden ins Herz des DonnerClan-Territoriums geführt hatte. Er hatte einfach geglaubt, das Richtige zu tun.
»Feuerstern.« Überraschenderweise schaltete sich der Fremde ein. »Es ist mir eine Ehre, dir zu begegnen. Ich wollte den DonnerClan schon so lange kennenlernen.« Er miaute mit tiefer Stimme, aber die Herzlichkeit in seinen Worten schien aufrichtig gemeint.
»Woher weiß er von uns?«, fauchte Spinnenbein leise.
»Wo kommt er her?«, hauchte Blattsee.
»Du wolltest den DonnerClan kennenlernen?« Ungläubig wiederholte Feuerstern die Worte des Fremden. »Was willst du von uns?«
»Was wollen wir von ihm ?«, knurrte Mausefell. »Schick ihn weg!«
»Ich will nichts von euch.« Das Miauen des Fremden hallte zwischen den Felsen.
Feuerstern war auf der Hut. »Warum bist du dann gekommen?«
»Ich bin gekommen, weil es an der Zeit ist.«
»Wofür an der Zeit?«, rief Spinnenbein.
»An der Zeit für meinen Besuch«, antwortete der Fremde. Häherpfote schauderte. Wie schaffte es diese Katze, so einfachen Worten einen so gewichtigen Klang zu verleihen?
Feuerstern trat von einer Pfote auf die andere.
»Unsinn«, murmelte Mausefell. »Er soll gehen.«
»Er ist aber doch gerade erst gekommen!« Unkenjunges hüpfte aufgeregt über die Lichtung. »Wer bist du?«, fragte er und blieb vor dem Fremden stehen.
Ein belustigtes Schnurren rumpelte in der Kehle des Fremden. »Ich bin Sol.«
Brombeerkralle trat eilig vor. »Du und Rosenjunges, ihr solltet euch in der Kinderstube ausruhen«, sagte er zu Unkenjunges. »Ihr habt letzte Nacht bestimmt nicht viel geschlafen.«
»Gab es Probleme?«, miaute Sol.
»Nein.« Der Zweite Anführer des DonnerClans folgte Rosenjunges und Unkenjunges, die murrend zu ihrem Bau tappten. Er wartete, bis sie hineingekrabbelt waren, dann rief er zu Dornenkralle hinüber: »Wo habt ihr den Fremden gefunden?«
»An der WindClan-Grenze«, antwortete Dornenkralle. »Er hat keine Beute gestohlen und auch nicht versucht, die Grenze zu übertreten. Er hat einfach nur … gewartet.«
»Ich habe auf eine Patrouille gewartet«, erklärte Sol.
Woher weiß ein Einzelläufer über Grenzen und Patrouillen Bescheid?
»Warum?« Feuerstern klang verblüfft.
»Damit sie mich hierherführen kann.«
Häherpfote konzentrierte sich auf Sol, auf der Suche nach einem Grund, warum er gekommen war. Aber er konnte sich immer noch keinen Reim machen auf die funkelnden Untiefen in seinen Gedanken.
Verwirrt hüllten sich seine Clan-Gefährten in Schweigen.
Als niemand etwas sagte, ergriff Sol wieder das Wort. »Ich bin ein Eindringling.« Die Spitze seines Schwanzes fegte über den Boden. »Ich dachte, beim DonnerClan könnte ich am ehesten willkommen sein.« Wie ein Lichtstrahl hielt er Feuerstern mit seiner Aufmerksamkeit fest im Bann. »Du bist doch stets bereit, Katzen zu helfen, die kein Glück gehabt haben, nicht wahr?«
Feuersterns Pelz sträubte sich. »Eine Katze, die Hilfe braucht, schicken wir nicht fort«, miaute er vorsichtig. »Aber du hast gesagt, dass du nichts von uns
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