Zeit der Eisblueten
Wut außer sich sein, und sein Verhalten wäre noch unberechenbarer.
Während er an dem schweren Gewehr hantierte, zitterten dem Jungen die durch die Handschuhe behinderten Hände. Aber er konnte es sich nicht leisten, die Innenhandschuhe auszuziehen, weil er dadurch Gefahr lief, dass ihm die Finger einfroren und bewegungsunfähig wurden. Durch seine Angst und sein Zittern begann er die Kälte bereits zu spüren. Er konnte nicht noch sehr viel länger reglos stehen bleiben.
Der Bär war nun nur noch dreißig Schritte entfernt, und es war das Beste, die Hündin loszulassen. Mit wachsender Panik in der Brust befreite er sie von dem Seil, und sie stürzte auf den Bären zu. Dieser blieb irritiert stehen. Mit geöffnetem Maul beobachtete er, wie die zornige Hündin auf ihn zuraste, ihn dann umkreiste und mit einem Satz ihre kräftigen Kiefer um sein Hinterbein schlug. Der Bär wandte und drehte sich, um an die Hündin heranzukommen, aber sie hing an ihm fest, als habe sich all ihre Kraft in diesen wütenden Kiefern konzentriert.
Heftig zitternd sah der Junge dem Kampf zu. Ihm war eingeschärft worden, einem Bären niemals Angst zu zeigen, aber die Realität war anders als die prahlerischen, häufig erzählten und dabei kräftig ausgeschmückten Geschichten der Älteren. Das riesige, erboste Tier war furchteinflößend, kein Mensch konnte das bestreiten. Voller Respekt registrierte er, dass seine hündische Gefährtin keine derartige Angst hatte. Klein, wie sie im Vergleich mit ihrem Gegner erschien, warf sie sich mit einem von ihren Vorfahren ererbten leidenschaftlichen Zorn in den Kampf.
Da ihm nichts anderes einfiel, zielte der Junge mit dem Gewehr auf den Bären. Die Hündin war nicht bereit loszulassen, aber während ihres wahnsinnigen Tanzes befreite sich der Bär von ihr und floh über das Eis. Seine Angreiferin folgte ihm.
Der Junge rief seine Hündin, aber da er sie in der Ferne verschwinden sah, drehte er sich um und rannte, das Gewehr in der Hand, zum Ufer. Den Rucksack ließ er auf dem Eis hinter sich liegen. Das Dorf lag weiter weg, als es den Anschein hatte, doch er lief darauf zu, ohne auf seine Umgebung zu achten. Seine Finger und Zehen erwachten durch das Blut, das nun kraftvoll durch seinen Körper gepumpt wurde, zu neuem Leben. Jetzt konnte er die Häuser deutlich erkennen, und er verlangsamte seine Schritte ein wenig. Das Pochen seines Herzens dröhnte in seinen Ohren. Er atmete tief und rasselnd, und die eisige Luft ließ seine Lungen fast bersten.
Die Geräusche seines Körpers hinderten ihn daran, das kaum wahrnehmbare Knirschen des Schnees hinter sich zu hören. Der Bär näherte sich ihm schnell, aber leise von hinten. Das Erste, was der Junge wahrnahm, war das bellende Warnsignal der Hündin. Er wirbelte herum und sah, dass der Bär direkt auf ihn zusprang. Dann bemerkte er die Hündin. Sie war verletzt und zog eine Blutspur hinter sich her, aber sie verfolgte den Bären noch immer. Als spiele die Zeit keine Rolle, stand der Junge nur da und fragte sich, wie es dem Bären gelungen war, die Hündin abzuschütteln, und welche Verletzung er ihr zugefügt hatte.
Der Bär stürmte los, aber im letzten Augenblick stoppte er abrupt vor dem Jungen und erhob sich auf den Hinterbeinen zu seiner vollen Höhe. Er war nur noch fünf Schritte entfernt, und sein Schatten verdunkelte den Schnee.
Der Junge reagierte schnell und zielte mit dem Gewehr auf die zottige Brust. Aber in dem Moment, als er abdrückte, ließ sich der Bär wieder auf alle viere fallen, und die Kugel verschwand in der Luft.
Ein Schlag mit der riesigen Tatze ließ den Jungen über das Eis schliddern. Ein unerträglicher Schmerz über die ganze Brust hinweg raubte ihm den Atem. Er wusste, dass er sterben würde, wenn kein Wunder geschah. Mit einem Satz war der Bär über ihm, und obwohl er nichts von dem Schmerz spürte, hörte er, wie sein Bein wie morsches Elchfell abgerissen wurde.
Auch die Hündin war tödlich verletzt, aber ihre Loyalität gegenüber ihrem Herrn und ihr Hass auf Bären verliehen ihr die Kraft, zu erneuten Angriffen anzusetzen. Durch den Schock benommen, beobachtete der Junge ihre verzweifelten Versuche, den Bären von ihm abzulenken, und er fragte sich, warum er die treue Hündin zuweilen so gedankenlos missachtet und ihre Treue für selbstverständlich gehalten hatte.
Der Bär freute sich auf ein gutes Mahl, aber im Gegensatz zu dem agilen und lästigen Hund war der Junge unbeweglich und wartete auf ihn.
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