Zeit der Geheimnisse
freuen. Er lehnt sich zurück.
»Nein«, sagt er, »ich brauche dein Essen nicht.«
12 - Jack
Als ich zurückkomme, harkt Jack gerade Laub in unserem Garten. Ich bleibe am Tor stehen und schaue ihm zu.
Jack wohnt gleich neben dem Laden, zusammen mit Ivy. Ivy ist ein bisschen plemplem. Sie schlurft den ganzen Tag in Puschen herum und hat einen rosa Blumenhut auf dem Kopf. Sie soll eigentlich den Garten nicht verlassen, aber manchmal schafft sie es doch und läuft die Straße hinunter, dann muss Jack sie wieder nach Hause holen. Einmal habe ich gesehen, wie sie zum Tor hinaus ist, da bin ich ihr hinterhergerannt und habe sie zurückgebracht. Jack stand in der Küche und sagte zu ihr: »Na, mein Mädchen, wo wolltest du denn dieses Mal hin?« Sie hat ihn angestrahlt mit ihrem strahlenden, zahnlosen Lächeln und hat gesagt: »Zum Zirkus!«
Ich mag Ivy.
Aber Jack mag ich noch lieber. Jack ist ein Mann, aber er kocht und putzt ganz alleine. Er geht sogar mit Ivy ins Bad und wäscht sie. Das hat er mir selbst gesagt. Jack und Grandma und Grandpa teilen sich einen großen Garten, um den Jack sich kümmert.
Er stützt das Kinn auf die Harke, als er mich sieht, und hebt eine Hand.
»Wie sieht’s aus, kleines Fräulein?«
»Ganz okay«, antworte ich. Ich klettere am Tor hoch und setze mich oben drauf. Jack harkt weiter.
»Ich habe eine Blume gesehen«, erzähle ich.
»Tatsächlich?«
»Eine Glockenblume.«
Ich habe sie in der Tasche und kann sie ihm zeigen, wenn er will, aber er fragt nicht, sondern harkt einfach weiter.
»Das nenne ich eine tapfere Glockenblume«, sagt er. »Im Oktober noch im Freien.«
»Es ist eine Zauberblume«, erkläre ich. »Ein Mann hat sie wachsen lassen, einfach so, aus dem Nichts.«
Jack antwortet nicht. Er harkt sein Laub zu einem Haufen zusammen.
»Du glaubst mir nicht, stimmt’s?«, frage ich. »Glaubst du an Zauberei?«
Jack hält inne.
»Siehst du die Bäume da?« Er zeigt mit dem Finger darauf. Ich nicke.
»Die habe ich wachsen lassen, aus dem Nichts.« Er lacht. »In jedem Baum steckt mehr Magie als in irgendwelchen Zaubertricks.«
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13 - Wünsche
Ich gehe zurück ins Haus. Mir ist ein Gedanke gekommen. Kein großer. Ganz hinten in meinem Kopf ist er aufgetaucht, so klein, dass ich mich nicht traue, ihn ans Licht zu holen oder anders als nur ganz flüchtig darüber nachzudenken. Sonst löst er sich noch in Nichts auf, so wie es manchmal passiert, wenn man andere etwas sehen lässt.
Woran ich gedacht habe, ist dies: Wenn der Mann in der Scheune wirklich ein Gott ist und wenn er den Sommer bringt und irgendwelche Dinge einfach aus der Luft pflückt und auch sonst alles macht, was ein Sommergott so tut – was kann er dann noch?
Ich will ihn ja nicht um Superkräfte oder Edelsteine bitten oder um ein Märchenschloss. So etwas brauche ich nicht. Meine Wünsche sind schlicht und einfach.
Könnte er machen, dass mein Dad uns zurücknimmt?
Könnte er machen, dass meine Mum wieder nach Hause kommt, gesund?
14 - (Keine) Zeit mit der Familie
Irgendwas macht er mit meinem Kopf, dieser Mann. Wenn ich ihn besuche, lasse ich mich ablenken von nackten Füßen und Efeuranken und vergesse alles, was ich fragen wollte – wie zum Beispiel: Wer bist du?
Ich weiß nicht einmal seinen Namen. Wenn ich bei den Fünf Freunden wäre, hätte ich sein Geheimnis längst gelüftet.
Natürlich: Wenn ich bei den Fünf Freunden wäre, dann wäre er ein Schmuggler oder ein Landstreicher oder ein verkleideter Detektiv.
Trotzdem.
Am Samstag beim Frühstück mache ich mir eine Liste mit all den Dingen, die ich ihn fragen wollte, angefangen mit Wie heißt du? über Bist du wirklich ein heidnischer Gott? bis zu Was kannst du sonst noch, außer Bäume wachsen lassen? Und könntest du mir das beibringen, damit ich’s auch kann?
»Kann ich rausgehen?«, frage ich Grandpa, aber er schüttelt den Kopf.
»Heute nicht, Herzchen.«
Was steht denn heute an? Wieder so ein Ausflug mit Tante Meg oder einer von Mums Freundinnen? »Spielen« mit meinen Cousins, die schon in der weiterführenden Schule sind und bloß Computer und Fußball im Sinn haben und uns anglotzen, als hätten sie das Sprechen verlernt?
»Euer Dad wollte doch heute etwas mit euch unternehmen. Weißt du nicht mehr?«
Stimmt – Dad.
»Molly Alice«, sagt Grandma und legt das Buttermesser weg. »Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Du willst deinen Dad doch auch sehen, oder?«
»Ja«, sage ich. Ich kratze
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