Zeit der Geheimnisse
Pfefferminzcreme und Schokoladenkekse und Suppe und Bohnentoast und Sandwiches. Davon kann man leben.
Aber Dad schüttelt den Kopf.
»Nein, Schätzchen«, sagt er. »Lass uns nicht wieder damit anfangen. Du kannst nicht allein im Haus sein, und Hannah auch nicht. Nicht über Nacht. Und bei meiner Arbeit kann ich nie garantieren, wann ich da bin.«
Das ist so was von unfair. Es gibt jede Menge Kinder in Hannahs Alter, die allein zu Hause sind. Sogar Kinder, die für ihre Eltern sorgen, wenn die im Rollstuhl sitzen oder so. Das hab ich im Fernsehen gesehen.
»Du könntest einen Babysitter organisieren«, sage ich. »Das ist mir egal. Oder eine Tagesmutter, oder wir gehen in den Hort. Das machen viele.«
»Moll«, sagt Dad müde. »Lass uns nicht darüber zanken. So plötzlich, wie ich oft weg muss, kriegt man keinen Babysitter. Und bei einer Tagesmutter könnt ihr nicht übernachten.«
Mir läuft es kalt den Rücken herunter.
»Aber wir kommen doch sowieso wieder zu dir zurück«, sage ich. »Das hast du gesagt. Versprochen hast du’s. Wir können doch nicht ewig bei Grandpa wohnen.«
Dad schließt die Augen, und ich bekomme Angst. Ich höre auf. Er macht wieder dicht, irgendwie. Könnte es sein, dass er einfach weggeht und mich hier sitzen lässt, so wie er es bei Hannah gemacht hat? Ich halte die Luft an, aber dann macht er die Augen wieder auf.
»Nicht ewig, Schätzchen«, sagt er. »Nur gerade jetzt kann ich euch nicht bei mir haben, Moll. Ich kann doch kaum für mich selbst sorgen. Wenn ich eine andere Arbeit gefunden habe, dann denken wir neu darüber nach.«
Ich bin sauer auf ihn, weil er mir solche Angst eingejagt hat und weil er mir diesen Tag verdorben hat, der doch so schön sein sollte. Das erwartet man doch von Vätern, dass sie wollen, dass ihre Kinder es schön haben.
»Dann such dir doch einen neuen Job!«, sage ich. »Du füllst ein Formular aus oder gehst zu so einem Vorstellungsgespräch oder so. Das dauert nicht endlose Wochen! In fünf Minuten ist das gemacht!«
»Ich geb mir ja Mühe, Schätzchen«, sagt Dad. »Ganz ehrlich.«
»Dann gib dir mehr Mühe. Alle Leute haben Arbeit. Das ist doch nicht so schwer!«
Dad konnte Mum zum Wahnsinn treiben, weil er sich nicht mit ihr streiten wollte, und dasselbe macht er jetzt mit mir. Es ist, als hätte er eine Mauer um sich rum, und durch die lässt er nichts von dem, was ich sage, durch.
»Komm«, sagt er. »Gehen wir zurück zu Hannah. Mal sehen, ob sie uns ins Auto lässt.«
Hannah sitzt noch immer im Auto und hat das Gesicht so verzogen, als versuchte sie, nicht zu weinen. Dad reicht ihr ein Päckchen mit diesen matschigen Käse-Sandwiches, und sie macht sie auf, ohne ein Wort zu sagen. Dad wendet, und wir fahren zurück ins Dorf.
Als wir vor Grandpas Haus stehen, stürmt Hannah aus dem Auto und rast ins Haus. Dad zuckt traurig mit den Achseln, so als wüsste er nicht, was er tun soll. Aber Väter müssen wissen, was sie tun sollen! Dafür sind sie da!
»Komm, Liebes«, sagt er müde und legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich mache mich los und renne durch die Ladentür, an Grandpa vorbei und die Treppe hoch.
Manchmal weiß ich ganz genau, wie es sich anfühlt, Hannah zu sein.
Manchmal hasse ich Dad auch.
15 - Dad
Es gibt zwei Gründe, weswegen wir nicht bei Dad wohnen.
Der erste ist seine Arbeit. Dad ist Journalist, und das heißt, er wird andauernd angerufen von Leuten, also seinem Chef, und dann heißt es: »Wir brauchen einen Bericht aus Shepley, dringend, du musst sofort hinfahren.« Dann muss er den ganzen Weg bis nach Shepley fahren und rausfinden, worum es bei der Sache geht 1 und dann kommt er erst ganz spät zurück, manchmal haben wir dann alle schon geschlafen.
Der zweite Grund ist, dass Dad, als Mum gestorben ist, auch irgendwie krank wurde. Er hat auf einmal noch viel länger gearbeitet, und zwar jeden Abend (Tante Rose hat bei uns gewohnt, deshalb konnte er immer weggehen). Manchmal ist er dann nach Hause gekommen und hat nur Löcher in die Luft gestarrt und nicht geantwortet, wenn man mit ihm sprechen wollte. So was ist schon bei Obdachlosen gruselig, aber doppelt, dreifach, vierfach gruselig, wenn der, der das macht, dein eigener Vater ist. Tante Rose hat alles gemacht, was gemacht werden musste, Essen eingekauft oder so, aber alles, was außer der Reihe war, wie Klavierstunden oder neue Schulschuhe, hat sie vergessen. Eines Tages kam dann Grandma, weil Tante Rose sich wieder um ihre eigenen Kinder
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