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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ich durch diese fremde Welt gehe, ist der Boden unter meinen Füßen gefroren.
    »Cissy. Cissy! «
    Hände auf meinen Schultern. Atem an meinem Hals. »Spencer?«, sage ich mit rauer, schläfriger Stimme.
    Allmählich nehme ich die Eulen als stumme Zeugen in den Bäumen wahr, den Schlamm an meinen Fersen und am Saum des Nachthemds, die schwüle Sommernacht. Ich bin im Wald hinter unserem Haus, und ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin.
    »Du bist schlafgewandelt«, erklärt Spencer.
    Schlafwandeln, ja, das muss es gewesen sein. Und doch, dieser andere Ort, den ich besucht habe … Spencer umarmt mich, seufzt. »Cissy, ich will doch nur, dass du glücklich bist.«
    Leises Schluchzen steigt mir in die Kehle. »Ich weiß.«
    Und ich bin eine Versagerin, schließlich habe ich so viel – ein schönes Zuhause, eine gesunde Schwangerschaft, einen Mann wie Spencer –, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass mir etwas fehlt. »Ich liebe dich«, sagt mein Mann. »Ich habe noch keinen Menschen so geliebt wie dich.«
    »Ich liebe dich auch«, sage ich zu ihm. Ich wünschte nur, es wäre so einfach.
    »Lass uns wieder schlafen gehen«, schlägt Spencer vor, »und das alles vergessen.«
    Erst als ich im Badezimmer bin und mir den Schmutz vom Gesicht waschen will, merke ich, dass ich etwas in der linken Hand halte. Ich öffne meine Faust wie eine Blume: Weich und geschmeidig und honigfarben liegt da ein winziges Paar Mokassins.

SECHS
21. August 1932

    Aus einer Broschüre zum Dritten Internationalen Eugenik-Kongress :
    Allein im Jahr 1927 wurden in staatlichen Einrichtungen alle 31 Sekunden 100 US-Dollar für die Versorgung von Geistesgestörten, geistig Behinderten, Epileptikern, Blinden und Taubstummen aufgewendet.

    Mitten in der Nacht weckt mich ein krampfartiger Schmerz im Unterleib. Ich blicke über das Matratzenmeer hinweg zu Spencer hinüber, der tief schläft. Ich versuche, die Schmerzen zu unterdrücken. Doch dann reißt etwas, und ich bin zu schockiert, um auch nur aufzuschreien. Ich sehe das Blut mein Nachthemd durchtränken und den Reißzahn, scharf wie ein Messer. Eine schuppige Schnauze drängt sich durch das Loch in meiner Haut, dann ein Klauenfuß, ein Reptilienbauch, ein Schwanz. Der Alligator, der schließlich zwischen meinen Beinen hockt, blickt auf und grinst.
    » Miz Pike … «
    Die Stimme gehört zu jemandem, der zusehen will, wie ich bei lebendigem Leib verschlungen werde. Der Alligatorrachen schließt sich um meinen Oberschenkel.
    » Miz Pike … Lia! «
    Erst mein heimlicher Name lässt den Alligator verschwinden. Ich blinzele und sehe Ruby im Nachthemd vor mir stehen, mitten in der Eingangshalle des Plaza Hotels. Ihre Augen sind tieftraurig. »Sie müssen zurück ins Bett.«
    Ich bin wieder schlafgewandelt. Und Ruby hat gut aufgepasst, denn dafür haben wir sie mit auf diese Reise genommen. Sie führt mich zu unserer Suite und wendet die Augen von Spencer ab, der seelenruhig im Bett schläft. »Auf Reisen schläft keiner gut«, wispert Ruby beruhigend. Sie schlägt die Decke zurück und hilft mir ins Bett, als wäre sie die Ältere von uns beiden.

    Aus dem Programm des Dritten Internationalen Eugenik-Kongresses:

Eröffnungsansprache: Dr. H. F. Perkins, Präsident der Amerikanischen Eugenik-Gesellschaft
»Biologische Klassifizierung von Immigrantengruppen«: Prof. Jap van Tysedijk
»Wie sich der Untergang des Abendlandes verhindern lässt«: Dr. Roland Osterbrand
»Das Aussterben des Alten Amerikaners: Eine Studie zur Verbesserung der menschlichen Rasse«: Dr. Spencer Pike

    Der Dritte Internationale Eugenik-Kongress tagt im New Yorker Museum of Natural History. Wir sitzen in der Nähe des Vortragssaales im Aufenthaltsraum der angereisten Koryphäen. Spencer bereitet sich auf seinen Vortrag vor, mein Vater studiert die Erläuterungen zum Programm. Ruby sitzt still wie ein Geist in einer Ecke und strickt.
    Wir haben den Vorkämpfer für das Sterilisationsprogramm in Michigan kennengelernt, einen kubanischen Physiologen, der mir erklärte, es sei die Pflicht von Frauen wie mir, die Welt zu retten, indem sie mehr Kinder bekommen, und einen New Yorker Arzt, der nach Knoblauch roch und mit Spencer eine Stunde lang über die jährlichen Kosten für die Versorgung der Nachkommen zweier schwachsinniger Familien (zwei Millionen Dollar) im Vergleich zu den einmaligen Kosten für die Sterilisation der Eltern (150 Dollar) fachsimpelte.
    Jetzt debattieren mein Vater und mein Mann darüber, was

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