Zeit der Gespenster
sein. Sonst würde er, sobald er meinen Körper verlässt, anderen gehören – Spencer und meinem Vater. Und eines Tages würde er mich mit ihren Augen sehen – als jemanden, der die Wissenschaft, die sie neu erschaffen, nicht begreifen kann, als jemanden, der so naiv ist, an die Sprengkraft der Liebe zu glauben.
Und wenn mein Baby wundersamerweise doch ein Mädchen ist, dann wäre es noch schlimmer. Ich hätte versagt, weil Spencer sich einen Sohn wünscht. Und ich müsste nicht nur mit ansehen, wie er sie genauso behandelt, wie er mich behandelt hat … Ich müsste mit ansehen, wie sie die gleichen Fehler macht, die ich gemacht habe: sich in einen Mann verliebt, der das liebt, was sie ist, nicht die, die sie ist; heiratet, damit sie nicht allein ist, nur um festzustellen, dass sie dadurch noch einsamer wird; ein Kind in sich trägt, nur um zu erkennen, dass sie nie die sein wird, die das Kind verdient.
Noch ein Schnitt und noch einer. Blut wirbelt im Wasser, wie verträumt und rosa.
Endlich gehe ich fort, weil hier für mich kein Platz ist.
Mein letzter Schnitt, ins Handgelenk, ist der tiefste. Das Muster für diese Wunde ist schon vorgegeben, eine bläuliche Kreidelinie unter der Oberfläche.
Es wird noch ein Messer geben, das mich in der Mitte aufschneidet, um das Baby zu retten. Ärzte werden die Arbeit zu Ende führen, die ich begonnen habe, mich öffnen. Sie werden mit ratlosem Kopfschütteln innehalten, wenn sie verblüfft feststellen, wie leer ich bin.
Ein summendes Klopfen in den Ohren. Es ist jetzt so anstrengend, den Kopf oben zu halten. Mein Körper sinkt unter Wasser.
Da fliegt die Tür auf, und Ruby beugt sich über die Wanne, schreit mir ins Gesicht, ich solle durchhalten. Sie hält mich fest, weil ich mich längst nicht mehr an ihr festhalten kann. Sie ist mit meinem Blut beschmiert, aber irgendwie schafft sie es, mich über den Wannenrand zu hieven, sodass ich nass und nackt und blutig auf den Badezimmerboden falle, während sie nach Spencer ruft. Er erscheint in der offenen Tür und stürzt zu mir. »Cissy, Gott, nein.« Er wickelt ein Handtuch um meinen Arm, und als es sofort mit Blut durchtränkt ist, wird er weiß im Gesicht und rennt aus dem Zimmer. »Du bleibst hier bei ihr, verstanden?«, brüllt er Ruby an, die sich vor Entsetzen nicht rühren kann. In der Ferne höre ich ihn ins Telefon schreien und den Arzt verlangen.
Mit letzter Kraft strecke ich die Hand nach Ruby aus, packe ihr Nachthemd und ziehe sie zu mir. »Rette das Baby«, flehe ich heiser, aber sie schluchzt so laut, dass sie mich nicht hört. Also schlinge ich meine unversehrte Hand um ihren Nacken. Ich küsse sie auf die Lippen, damit sie meinen Schmerz schmeckt. »Rette mein Baby«, flüstere ich. »Versprich es mir!«
Ruby nickt, sieht mir in die Augen. » Ich verspreche es .«
»Das ist gut«, sage ich und lasse die Wellen über meinem Kopf zusammenfließen.
Die Rechte des Einzelnen können nicht umfassend geschützt werden, wenn er gezwungen ist, für Gesetzlose, Verwahrloste, Verkommene und psychisch Kranke Sorge zu tragen.
H. F. Perkins: Lehren aus der Eugenik-Erhebung von Vermont: Erster Jahresbericht , 1927
Alles ist weiß. Die Decke, das Licht, die Bilder auf der Innenseite meiner Augenlider. Der Verband, der von der Schulter bis zur Hand so fest um meinen Arm gewickelt ist, dass ich den Puls unter der Haut spüre.
Spencer und Dr. DuBois stehen vor der Tür. »Joseph«, sagt Spencer, »von der Sache hier darf nichts durchsickern.«
Dr. DuBois ist der angesehenste Arzt in Burlington. Er hat mich auf die Welt geholt; er wird ganz bestimmt auch mein Baby auf die Welt holen. »Spencer …«
»Bitte. Ich flehe dich an.«
»Es gibt Möglichkeiten, du weißt schon, auf dem Land, wo man sich um sie kümmern könnte. Alles sehr idyllisch – ich meine nicht Waterbury.«
»Nein. Das kann ich ihr nicht antun.«
»Cissy? Oder dir selbst?« Dr. DuBois schüttelt den Kopf. »Diesmal geht es nicht um dich, Spencer«, sagt er und verabschiedet sich.
Spencer setzt sich auf die Bettkante und starrt mich an. »Es tut mir leid«, bringe ich heraus.
»Ja, das glaub ich«, antwortet er, und trotz der Hitze im Zimmer läuft es mir kalt den Rücken runter.
Frage:
Was versteht man unter negativer Eugenik?
Antwort:
Die Eliminierung der dysgenischen Elemente aus der Gesellschaft durch Maßnahmen wie Sterilisation, Immigration, gesetzliches Eheschließungsverbot von fruchtbaren Minderwertigen etc.
American
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