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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Schwindelgefühl, wenn man verliebt ist. Ich hab keine Sekunde lang geglaubt, dass der Junge irgendwas an den Stimmbändern hatte, egal, was für neumodische Tests die Ärzte in der Stadt mit ihm anstellten. Und ich hab recht behalten.« Er schob den Objektträger unter das Mikroskop und spähte hinein. »Aha.«
    »Was ist?«
    »Fibrinablagerung innerhalb der periportalen Sinusoide und mikrosokopische Einblutungen. Und koagulative Nekrose in den periportalen Hepatozyten.«
    »Meine Güte, Wesley. Was heißt das?«
    Wesley nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. »Präeklampsie ist eine ernste Komplikation während der Schwangerschaft. Noch ernster wird sie, wenn sie das HELLP-Syndrom verursacht – das ist die Kurzform für Hämolyse, erhöhte Leberwerte, niedrige Thrombozytenzahl. Es ist erst seit gut zwanzig Jahren diagnostizierbar – und es ist heilbar, jetzt, wo man weiß, was es ist. Aber früher sah die Sache anders aus … der Zustand konnte sich rasch verschlimmern. Ich habe den Eindruck, dass das Leberhämatom eine Folge des HELLP-Syndroms ist und nichts mit irgendwelchen Schlägen zu tun hat, wie dein alter Mediziner offenbar meinte.«
    »Wirkt sich das irgendwie auf meine Ermittlungen aus?«
    Der Doktor schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Es bedeutet bloß, dass Cissy Pike, wenn sie nicht erhängt worden wäre, wahrscheinlich innerhalb von ein paar Tagen eines natürlichen Todes gestorben wäre.«

    Spencer Pikes Haut hatte eine stumpfe, gelbe Färbung angenommen, wie faulendes Pergament. Schläuche leiteten Sauerstoff in seine Nase. In dem Blick, mit dem er zusah, wie Eli sein Tonbandgerät einschaltete, lag die Enttäuschung eines Mannes, der wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit auf dieser Erde blieb, und der nicht bereit war, sie mit einem Fremden zu teilen. »Wenn ich mich nicht irre, ist es kein Verbrechen, ein Stück Land zu verkaufen, das einem gehört.«
    »Stimmt«, erwiderte Eli. Er sah kurz zu den anderen Heimbewohnern hinüber, die hier in der Cafeteria saßen und ein breiiges Mittagessen zu sich nahmen. »Ich frage mich nur, warum Sie es verkaufen wollten.«
    Pike lachte. »Ich will nun mal das Luxusleben fortführen können, an das ich mich hier gewöhnt habe. Sagen Sie den Zigeunern, dass es mir gehört, Detective. Wenn ich dort eine Kirmes veranstalten will, dann ist das mein gutes Recht. Wenn ich es an weiße Rassisten verschenken will, dann ist das meine Sache. Und wenn ich es lieber an einen trotteligen Bauunternehmer verhökere, statt zu warten, bis der Staat Vermont es nach meinem Tod einsackt, dann ist auch das einzig und allein meine Entscheidung.«
    Eli wurde zweierlei klar: Spencer Pike dachte, er wäre gekommen, um den Streit mit den Abenaki zu schlichten, und Spencer Pike hatte keine Ahnung, dass in Elis Adern indianisches Blut floss. Das machte er sich zunutze. »Hört sich an, als hätten Sie schon mal Ärger mit den Abenaki gehabt.«
    »Das kann mal wohl sagen! Einer von denen hat meine Frau umgebracht.«
    »Ja, das steht im Polizeibericht. Das muss hart für Sie gewesen sein.«
    »Sie war meine große Liebe. Niemand sollte seine Frau und sein Baby am selben Tag beerdigen müssen.«
    »Die Gräber sind auf Ihrem Grund und Boden, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Eli neigte den Kopf. »Warum eigentlich nicht auf dem Friedhof der Kirche? Sie waren doch ein aktives Gemeindemitglied.«
    »Meine Tochter wurde tot geboren«, sagte Pike. »Und meine Frau war tot. Ich … wollte sie beide nicht gehen lassen. Sie sollten an einem Ort sein, an dem sie mich finden konnten – und an dem ich sie finden konnte.« Er wandte sich ab, aber Eli sah, dass er weinte.
    In dem ursprünglichen Polizeibericht war der Leichnam des Kindes mit keinem Wort erwähnt worden. Eli hatte das gemerkt und auf schlampige Arbeit zurückgeführt – jeder Gerichtsmediziner, der etwas auf sich hielt, hätte eine Obduktion an dem Kind vorgenommen. Andererseits, wenn ein einflussreicher, wohlhabender Mann anrief und den Mord an seiner Frau meldete, würde die Polizei es ihm bestimmt nicht noch schwerer machen wollen. Wenn Pike gesagt hatte, dass das Baby tot zur Welt gekommen war, dann hätten sie das nicht in Zweifel gezogen.
    Die Leute sehen, was sie sehen wollen, das wusste Eli, und Polizisten waren da nicht anders. »Sie haben sie gefunden«, sagte er.
    »Ich habe sie selbst abgeschnitten. Natürlich wusste ich, dass ihr von der Polizei immer genau sehen wollt … wie alles gewesen ist. Aber ich konnte ihren

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