Zeit der Gespenster
kleinen Kästchen darauf, in denen jeweils ein Fingerabdruck war. »Wie können Sie da was erkennen?«
»Achten Sie auf die Form des Fingerabdrucks«, sagte Eli. »Bildet er ein Bogenmuster, eine Schleife, einen Wirbel, wie ist die Position, von welchem Finger stammt er, wie groß ist er, wie viele Rillen hat eine Schleife und so weiter. Auffällig an den Abdrücken von Gray Wolf ist, dass sie relativ einheitlich sind, was nur bei fünf Prozent der Bevölkerung der Fall ist. Der Abdruck von der Pfeife ist nicht berauschend, aber man kann erkennen, dass er ein Schleifenmuster hat. Und achten Sie auf die Gratbesonderheiten.«
»Wie bitte?«
»Als Grat bezeichnete man die erhöhten Linien. Da zum Beispiel.« Eli beugte sich über Ross’ Schulter und zeigte auf eine Stelle des Abdrucks, an der die Linien sich gabelten. »Eine Gabelung ist so eine Besonderheit. Oder ein Grat, der plötzlich einfach aufhört. Oder ein Punkt. Acht ähnliche Merkmale bei zwei verschiedenen Abdrücken zu finden kommt etwa so häufig vor, wie wenn man einen Stein in die Luft wirft, und er fällt nicht mehr runter.« Er nahm die Fingerabdruckkarte des Gefängnisses herunter und legte den neuen Abdruck hin, den er von Spencer Pikes Glas abgenommen hatte. »Die Sache ist die – obwohl die Pfeife Gray Wolf gehörte, waren die Abdrücke darauf nicht von ihm. Und mich interessiert brennend, wessen Abdrücke das waren.«
Langsam begriff Ross. »Wenn Spencer Pike die Pfeife in der Hand hatte, dann könnte er sie am Tatort deponiert haben.«
»Sie haben es erfasst.« Eli studierte die beiden Abdrücke mit einem Vergrößerungsglas. »Langsam fügen sich die Puzzleteilchen zusammen … Im Polizeibericht steht, Pike habe Gray Wolf gefeuert und an besagtem Nachmittag von seinem Grundstück geworfen. Er war stinksauer auf ihn – vielleicht wütend genug, um ihm einen Mord anzuhängen. Ich habe das Labor in Montpelier beauftragt, ein paar von den alten Tatortfotos zu untersuchen. Man kann deutlich erkennen, wie das Schlafzimmerfenster eingeschlagen wurde – von innen.«
Ross war ganz ruhig geworden. »Ich hab gedacht, ihr Mann würde sie schlagen«, sagte er leise. »Aber sie hat gesagt, er würde sie einfach viel zu sehr lieben.«
»Man kann jemanden zu Tode lieben«, erwiderte Eli. »Das erlebe ich andauernd.«
»Sie glauben also, sie wollte von ihm weglaufen?«
»Ich weiß nicht«, gab Eli zu. »Aber ich bin überzeugt, dass sie an dem Tag mit ihm gekämpft hat. Im Obduktionsbericht steht, sie hatte Blutergüsse an den Handgelenken, die sie wenige Stunden vor ihrem Tod bekommen haben muss.«
»Glauben Sie …« Ross schluckte. »Glauben Sie, er hat sie auf eine andere Weise umgebracht und es dann so aussehen lassen, als hätte jemand sie erhängt?«
»Nein. Die Obduktion beweist das und auch die Fotos … Außerdem, die Fotos, von denen ich Ausschnittsvergrößerungen habe machen lassen – es gibt zwei verschiedene Paar Fußabdrücke. Eine Schuhsohle ist kleiner und entspricht der Schuhgröße des Opfers. Die andere Sohle ist größer, vermutlich von einem Mann. Also, Pike gibt zu, die Leiche seiner Frau abgeschnitten zu haben. Er sagt aber auch, dass jemand anders sie erhängt hat. Wo also sind dann die Fußabdrücke von Gray Wolf?« Fluchend legte Eli das Vergrößerungsglas hin und schob die Fingerabdruckkarte weg. »Mist. Pike hatte die Pfeife nicht in der Hand.«
Ross hatte plötzlich ein derartiges Gefühl der Enge in der Brust, dass er dachte, er würde gleich ohnmächtig. »Alles in Ordnung?« Eli musterte ihn fragend. Ross nahm sich den erstbesten Gegenstand auf dem Tisch – eine weitere Karte mit Fingerabdrücken, die unter einigen Tatortfotos hervorlugte. Er beugte sich darüber, tat so, als würde er die Abdrücke studieren.
»Ich seh die Sache so«, sagte Eli. »Pike ist ein einflussreicher Mann. Er hat den Ermittlungsbeamten eine Geschichte erzählt, und die haben sie ihm abgekauft, weil es erheblich einfacher ist, einem Indianer die Schuld in die Schuhe zu schieben als einem angesehenen Bürger der Stadt. Die Frage ist natürlich, warum Pike seine Frau umgebracht hat, falls er es war.« Er zog sich Gummihandschuhe über und verpackte das Trinkglas für den Transport zum DNA-Labor. »Vielleicht Geld. Er hat das Grundstück geerbt.«
Stirnrunzelnd blickte Ross von einer der Karteikarten zu dem Abdruck von der Pfeife. »Äh, ich bin mir zwar nicht sicher … aber sind die beiden hier nicht gleich?«
Eli nahm ihm die
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