Zeit der Heimkehr
kein Dachfenster gab, lag das Schlafzimmer auch tagsüber in angenehmem Dunkel.
Amalm stellte sich auf die Zehenspitzen, um Jon-Tom etwas zuzuflüstern. »Versuche bitte, ihn nicht zu ermüden, er ist sehr geschwächt.« Er nickte und schritt auf das Bett zu, während seine Gefährten sich zurückhielten. Neben dem Bett ging er auf die Knie, um sein Gesicht näher an das des Kinkajus heranzubringen.
»Ich bin über ein Meer gefahren und durch viele fremde Länder gereist, um Euch aufzusuchen, Couvier Coulb.«
»Das hat Amalm mir erzählt.« Der kleine Mund rollte sich ein Stück aufwärts, es ähnelte einem Lächeln. Jon-Tom spürte, wie seine Augenwinkel feucht wurden. Er hatte zwar damit gerechnet, ein älteres und gütiges Individuum kennenzulernen, doch kaum eines, das den Gesichtsausdruck eines Lieblingsonkels besaß - sofern man sich vorstellen konnte, einen Kinkaju zum Onkel zu haben.
Unter der Bettdecke kam eine Hand hervor. Die Finger waren schmal und zart, der Griff jedoch unerwartet kräftig. »Ich bin vielen Musikern begegnet, doch noch nie einem aus einer anderen Welt. Wie merkwürdig, daß ich ausgerechnet auf dem Sterbebett dazu Gelegenheit bekommen soll.«
»Sagt doch nicht so etwas.« Es hörte sich zwar albern an, doch er wußte nicht, was er sonst sagen sollte. »Ich bin wirklich Bannsänger, wißt Ihr. Vielleicht kann ich etwas tun, um Euch zu helfen. Ich habe schon früher Leuten geholfen, allerdings meistens mit Hilfe von diesem hier.«
Vorsichtig ließ er den Sack mit der Duar von der Schulter gleiten und holte die Teile einzeln hervor. Couvier Coulb untersuchte gründlich jedes Einzelstück, drehte es zwischen seinen gefühlvollen Fingern hin und her. »Wie hast du die zertrümmert?«
»Ich bin darauf gestürzt.«
»Das war aber sehr tolpatschig von dir. Das hier sind die Bestandteile einer Duar. Eine von einer mir unvertrauten Konstruktion, durch und durch einzigartig. Es gibt also mindestens einen weiteren Instrumentenbauer auf der Welt, dessen Können sich mit meinem messen kann, denn wer diese Duar hergestellt hat, ist auf jeden Fall ein Meister. Ich glaube, daß sie in den Händen eines wirklich begabten Bannsängers große Magie bewirken kann.« Er legte die Stücke wieder in Jon- Toms Hände. «Doch ich fürchte, daß es nicht genügen würde, um mich zu retten. Junger Mensch, es wäre mir mehr als nur ein Vergnügen, dein Instrument wiederherzustellen, aber dieser Tage bringe ich nicht einmal genug Kraft auf, um aus dem Bett zu steigen. Schon der Gedanke daran, Saiten stimmen zu sollen, die in eine andere Dimension hinein verklingen, erschöpft mich.« Er blickte an seinem Besucher vorbei.
»Amalm kümmert sich gut um mich und sorgt rührend für alles, was ich brauche. Aber ich bin froh, daß ihr gekommen seid. Es ist angenehm, die letzten Tage seines Lebens noch Gäste zu haben.« Die zarten Finger tätschelten Jon-Toms Handrücken.
»Was diese Dämonen angeht, die Euch so quälen: Amalm konnte sie uns nur sehr ungenau beschreiben. Warum haben sie sich denn ausgerechnet auf Euch gestürzt?«
»Ich weiß es nicht.« Der Kinkaju atmete nur mühsam. »Eines Tages sind sie einfach erschienen und haben erklärt, daß sie auf mich angesetzt worden seien - was immer das bedeuten mag. Dämonengerede. Zweifellos hat Amalm euch auch erzählt, daß wir alles versucht haben. Hexer und Magier, Ärzte und Heiler: Niemand konnte mir helfen. Ich bin sogar soweit gegangen zu versuchen, ihren ständigen Forderungen nachzukommen, aber die sind so seltsam und so unverständlich, daß ich schon glaube, sie erfinden sie nur, um mich noch weiter zu quälen. Junger Mann, du kannst nicht gegen sie kämpfen. Du kannst höchstens versuchen, das Leid, das sie verursachen, zu lindern.« Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung hob der Kinkaju den Kopf von seinen übergroßen Kissen.
»Du solltest jetzt gehen. Gehe, bevor sie auch noch auf dich angesetzt werden.«
Jon-Tom erhob sich und blickte sich im Raum um. In seiner Stimme klang Trotz mit. »Ich fürchte mich nicht vor Dämonen, schon gar nicht vor kleinen. Meine Freunde auch nicht, nicht wahr, Mudge?« Er spähte in die Dunkelheit hinaus. »Mudge?«
»Der ist nach unten gegangen.« Es war Weegees Stimme, dicht neben der Treppe. »Er sagte, er müsse mal.«
»Dazu hat er inzwischen mehr als genug Zeit gehabt. Ich werde ihn holen. Vielleicht brauche ich seine Hilfe.« Er machte einen Schritt auf die Treppe zu.
Plötzlich erschien zwischen ihm und
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