Zeit der Heimkehr
Löffel ab.«
»Das wissen wir noch nicht. Er ist noch nicht tot.« Jon-Tom schob den Rucksack auf seinem Rücken etwas höher. »Die Weberin hat gesagt, daß er im Sterben liegt, aber nicht, daß er schon tot ist.«
»Im Sterben, tot, was is schon der Unterschied? Denkste etwa, der könnte jetzt noch arbeiten? Dieser rücksichtslose Scharlatan 'ätte ja wenigstens noch 'n paar Wochen warten können, bis wir unser Geschäft erledigt 'aben, bevor er damit anfängt.«
»Ich bin sicher, wenn er gewußt hätte, daß wir kommen, hätte er seine tödliche Krankheit verschoben, um uns keine Unannehmlichkeiten zu machen.«
»Genau was ich sage, Kumpel.« Jon-Tom wandte den Blick ab. Immer, wenn er schon glaubte, daß der Otter im Begriff war, sich in eine halbwegs anständige Person zu verwandeln, mußte er so etwas sagen. Allerdings war sein Verhalten gemessen an den Wertvorstellungen seiner Welt kaum schockierend.
Sie fanden den zweiten Weg und schritten zwischen die Bäume. Es war nur ein kurzer Marsch bis zum Haus von Couvier Coulb. Sie hörten es bereits, noch bevor sie es sehen konnten, weil das Haus selbst die Stimmung seines Herrn widerspiegelte. An diesem Morgen spielte es einen Trauermarsch, was kaum ermutigend war. Die melancholische Musik durchdrang die Luft, den Boden, ja sogar ihre Knochen und erfüllte sie mit Trauer.
Die Mauern des Hauses bestanden aus Flöten: Manche von ihnen waren aus Bambus, andere aus dunkelgemasertem Holz, wiederum andere aus glänzendem Metall. Die Stricke, die sie zusammenhielten, vibrierten wie die Saiten einer Viola. Helle Balken summten tief wie ein Haufen gedämpfter Trompeten. Der Wasserfall, der über eine nahegelegene Klippe stürzte, erzeugte einen rhythmischen Kontrapunkt zu der Melodie, die das Haus spielte. Anblick und Klang beeindruckten sie alle gleichermaßen. Sogar Mudge wirkte betreten.
»Dieser Bursche mag vielleicht nicht wissen, wie er sich selbst 'eilen kann, aber er weiß gottverdammt noch mal, wie man Musik macht. Wäre mir eigentlich lieber, der lege nich im Sterben. Würde 'n Goldstück dafür geeben, diesen Ort 'ier zu se'en, wenn er gesund wäre.«
»Vielleicht sollten wir einfach gehen«, meinte Vorsicht.
»Zurück in die Stadt, versuchen, jemand anderen zu finden.«
»Es gibt niemand anderen. Das hat Clodsahamp uns gesagt. Deswegen sind wir ja auch hierher gekommen. Wir müssen mit ihm sprechen.«
»Und was, wenn der keinen Besuch mehr nich empfängt, Kumpel? 'errje, wenn der nich mal mehr Atemluft empfängt?«
»Wir müssen es versuchen.«
Als sie sich der Vordertür näherten, erklangen die Steine, über die sie schritten, wie die Platten eines Gamelan. Die Türklingel erwies sich als Flötenbündel, das leicht wie eine Panflöte nachhallte. Die Tür wurde von einer Opossummatrone geöffnet. Ihre weisen alten Augen musterten sie der Reihe nach, um sich schließlich mit ihrem Blick auf Jon-Tom zu heften.
»Ihr seht aus wie Fremde. Wir bekommen nicht viel Besuch. Ich weiß nicht, woher ihr kommt oder weshalb, aber das hier ist ein Haus der Sterbenden.«
Jon-Tom blickte Mudge ratsuchend an, bekam von dieser Seite aber keine Hilfe. Er war es gewesen, der hierher gewollt hatte, nun mußte er auch allein mit den Konsequenzen seiner Entscheidung fertigwerden.
»Es geht um ein Instrument. Nur um ein einziges Instrument. Ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll oder was ich sonst tun kann. Ich bin so weit in der Hoffnung gereist, daß der Meister Coulb vielleicht dazu in der Lage wäre, es zu reparieren.«
»Meister Coulb kann sein Bett nicht verlassen, ja er kann nicht einmal ein Rohr in einer Oboe ersetzen. Ich bin Amalm, seine Haushälterin.« Sie schickte sich an, die Tür zu schließen.
»Bitte!« Jon-Tom trat einen Schritt vor und zwang sich selbst zur Geduld. »Der Hexer, der mich unterrichtet, hat darauf bestanden, daß nur Coulb allein meine Duar reparieren kann. Ich muß sie aber repariert bekommen, sonst kann ich nicht bannsingen.«
Die Tür öffnete sich wieder einen Spalt. »Du bist ein Bannsänger, junger Mensch?« Er nickte. Nun öffnete die Tür sich ganz.
»Ein Hexer hat dich hierher geschickt?« Wieder ein Nicken.
»Dann geht es um Magie. Wahrlich, da könnte dir nur Meister Coulb allein helfen. Sofern er überhaupt noch jemandem helfen könnte.« Sie zögerte, dann seufzte sie resigniert. »Weil du so weit gereist bist und es um Magie geht, werde ich nachsehen, ob Meister Coulb mit dir sprechen will. Aber ich muß dich
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