Zeit der Idioten
gehört …«
»Sagen Sie Cornelius, ich meine, ›Du‹ …«
»Gern. Hast du gehört, dass eine algerische Rebellengruppe zu Attentaten auf algerische Diplomaten in Frankreich aufgerufen hat?«
»Hast du das auf dem Klo gelesen?«
»Ja«, sagt sie prompt und lacht.
Ich lache auch.
»So was schockiert mich nicht mehr. Eigentlich schockiert mich nichts mehr, aber ich interessiere mich mehr für die österreichischen Idioten.«
»Machst du eigentlich eine Therapie, Cornelius?«
»Nicht wirklich.«
»Du bist also so was wie ein Experte?«
»Jessasmarandjosef, nein. Hast du gehört, was dieser Fernsehexperte über den fünften Anschlag in Wien gesagt hat?«
»Weiß nicht mehr.«
»Er hat gesagt, er hätte so was sogar erwartet. Wie kann der das öffentlich sagen – nachdem es passiert ist? Dann hätte er es eben verhindern sollen, der Vollidiot.«
»Der fünfte Anschlag?«
»Das war der Moslem, der die Moschee in die Luft gejagt hat. Während des Gebets. Er wollte damit gegen die antidemokratischen Aussagen dieses Imams protestieren, der seelenruhig gemeint hat, er verstehe all diese Selbstmordattentäter, und der sich damals geweigert hat, die Londoner Anschläge zu verurteilen. Er hat gesagt, er halte nichts von Demokratie und österreichischer Gesetzgebung, er befolge ausschließlich die Gesetze des Korans, und die würden im Großen und Ganzen mit den staatlichen übereinstimmen und so weiter. Und dann kommt der andere – also wenn das nicht idiotisch ist –, ich meine, ein Demokrat, angeblich ein recht intelligenter Typ, der, um seine Gesinnung kundzutun, mit Massenmord gegenargumentiert.«
»Das waren über hundert Tote, oder?«
»Einhundertundachtzehn. Wenn jeder Mensch ein potentieller Mörder ist, dann ist jeder Mensch erst recht ein potentieller Selbstmörder. Abgesehen davon ist es tatsächlich das perfekte Verbrechen, vorausgesetzt, man hat genug von dieser schönen Welt. Der einzige Grund, der einen im Endeffekt von Verbrechen, Mord und Totschlag abhält, ist die Angst vor den Konsequenzen. Wenn diese Angst wegfällt, sind wir da, wo wir sind, verstehst du? Die Motive liegen nämlich einfach so herum, die Straßen sind voll damit. Und die Häuser und Wohnungen und Betten. Ich kenne niemanden, der nicht auf der Stelle durchdrehen könnte.
Nimm einfach Bob, den Kellner. Er ist nie aus diesem Kaff rausgekommen. Auf seine Art ein gebildeter Mann, der Bier ausschenkt, Gläser putzt, mit achtzehn seine Frau geheiratet und vier Kinder hat. Ich meine, wie viele Gründe, glaubst du, hat einer wie der? Verstehst du, was ich sagen will?«
»Ja. Hast du eine Freundin?«
Have I told you lately that I love you
… Keine Angst, das kommt nicht aus meinem Mund. Bob, der Kellner, ist jetzt Bob, der DJ, und dreht den Lautstärkeregler auf elf. Er versucht selbstverständlich, mir unter die Arme zu greifen, erwischt aber zielsicher meine Eier und alles in mir zieht sich zusammen – ein Aal oder ein Killerwurm zittert in meinem Magen wie verrückt hin und her und saugt mich von innen ein.
Ruhe im Saal, Spot auf Cornelius
. Ich kaue an meinem Finger, werfe Bob einen aggressiven Blick zu und schaue dann wieder auf Johanna. Ihr Gesicht scheint etwas errötet zu sein, aber sie lacht, und ihr Lachen befreit mich aus meiner Ganzkörperverkrampfung.
»Nein, keine Freundin«, sage ich.
»Gut. Ich geh dann.«
»Okay.«
»Bist du morgen da?«
»Weiß nicht, könnte sein … ja.«
Jessasmarandjosef! möchte ich schreien, bleibe aber sitzen und starre auf Bob.
»Magnolia«, sagt er und deutet zur Tür.
»Was?«
»Magnolia. Julianne Moore in
Magnolia
. Du weißt schon, der Film, wo’s am Schluss Kröten regnet. Wie in der Bibel.«
»In der Bibel regnet’s Kröten?«
»Ich denke schon, es ist jedenfalls eine sehr biblische Szene. Ich habe die Bibel gelesen, ich kenn mich da aus, Cornelius.«
»Ja, Bob. Sicher.«
Ich verlasse das Fiesta und schau noch schnell beim DVD-Automaten vorbei.
Zu Hause ist Sarah munter, also sehen wir uns gemeinsam
Magnolia
an. Sie schläft immer wieder ein, dazwischen fürchtet sie sich. Sie kuschelt sich an meine Seite. Sie spricht immer noch kein Wort mit mir. Ich will ihr jetzt aber nichts von Johanna erzählen, sie könnte es fürchterlich uncool und peinlich finden, und das würde die Sache nur noch verschlimmern.
Julianne Moore spielt eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, völlig fertig, aber wunderschön. Tom Cruise redet unentwegt von seinem Schwanz und mir
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