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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Moshammer
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Lärm war tatsächlich ohrenbetäubend, aber mir war alles egal.
    Ich erhöhte auf Neun und dann auf Zehn. Meine Gitarre fühlte sich an wie ein wildgewordenes Raubtier, gegen das ich nicht die geringste Chance hatte. Es war überwältigend im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin unkontrolliert über die Bühne getaumelt. Links neben der Bühne habe ich Sarah entdeckt. Sie hat ausgesehen wie vor ein paar Tagen, als mein Vater mich geschlagen hat. Weinend und ihren Unterkiefer vor dem Absturz bewahrend. Meine Augen wanderten weiter in Richtung Publikum. Viertausend Kinder, die irgendwas schrien, ich habe nur so was wie
Juuhaa!
wahrgenommen. Und dann ist plötzlich mein Gitarrenkabel aus der Buchse gerutscht. Ich habe es zurückgesteckt und dieser plärrende, einem Schweißgerät ähnliche Sound war der Höhepunkt, denke ich. Auf einmal habe ich den Kinderchor verstanden. Die haben nicht
Juuhaa!
geschrien, sondern
Loser!
Ich bin gestürzt und habe meinen rechten Mittelfinger in die Luft gehalten.
    Dann ist mir schlecht geworden. Jemand ist auf die Bühne gelaufen, direkt auf mich zu und hat den Marshall abgedreht. Sie haben mich von der Bühne gezerrt und eine CD gestartet:
    Das ist die perfekte Welle! Das ist der perfekte Tag!
    Die Kinder haben gejubelt und gesungen. Jessasmarandjosef, die waren vielleicht aufgeheizt. Meinen Job als Vorgruppe habe ich also perfekt erfüllt. Und irgendwie habe ich es auch hingekriegt, mein Pamphlet musikalisch umzusetzen. Das war Rock’n’Roll in Reinkultur, versteht ihr? Ich habe, glaube ich, sogar die ideale Punk-Singlelänge von 1:50 eingehalten.
    Aber natürlich kann man auch sagen, ich hab’s vermasselt. Sarah sagt das. Sie ist mit ihren verheulten Augen in meine Garderobe gekommen, hat mich angesehen und ruhig gesagt: »Ich hasse dich, Cornelius. Und du
bist
ein Versager.« Dann hat sie die Tür zugeknallt und ist zurück auf die Bühne, wo sie sich ihre Christl aus nächster Nähe ansehen darf.
    Und jetzt sitze ich also hier und bin wieder einmal ziemlich leer. Ziemlich, ziemlich, ziemlich leer.
    Wisst ihr, ich wollte nie ein richtiger Superstar sein. Obwohl, wenn ich mich ganz weit zurückerinnere, bin ich jeden Abend in meinem Bett gelegen und habe die Kassette
The Beatles, Live at the Hollywood Bowl
gehört. Das ist die, auf der man eigentlich nur das Gekreische der durchgeknallten Fans hört. Ich hab sie immer beim Einschlafen gehört, so lange, bis mein Vater Unverständliches aus seinem Schlafzimmer gebrüllt hat. Für mich bedeutete Musik das Gegenteil meiner Eltern. Heute stehen Eltern da unten und singen bei der Stürmer begeistert mit. Ich weiß nicht, aber ich habe es geliebt, dass meine Eltern meine Musik gehasst haben. Und jeden Abend habe ich mir vorgestellt, ich bin der, der da oben steht und
She loves you
singt.
    Gekreischt haben sie wegen mir. Naja. Da draußen kreischen sie genauso. Und noch dazu für den Frieden. Wie viele Lügen kann diese Welt noch ertragen?
    Bei der Heimfahrt hat Sarah wieder einmal konsequent kein Wort mit mir gesprochen. Ich habe mich sogar bei ihr entschuldigt und ihr alles erklären wollen, aber sie ist gleich eingeschlafen. Ich habe sie nach Hause gebracht, ausgezogen und ins Bett gelegt. Ich habe ihr Gesicht gestreichelt. Sie hat immer noch gestrahlt. Ich glaube, sie ist sehr glücklich gewesen bei dem Konzert.
    Ich sitze im Fiesta und arbeite an meinem vierten Bier, es schmeckt widerlich. Hermann lässt gerade ein neues Opfer seinen Tinnitus hören. Bob ist aus verständlichen Gründen reservierter als sonst, aber er tut mir irgendwie leid. Offensichtlich ist er sehr unsicher.
    »Na komm schon Bob, scheiß drauf. Ich lade dich ein.«
    »Das ist nett von dir, Cornelius.«
    »Das war heute ein … gewaltiger Auftritt …«
    »Ach ja, wirklich?«
    »Ja, weißt du, ich hab’s irgendwie …«
    »Lass das, Cornelius, ich hab schon davon gehört.«
    »Haben sie’s im Fernsehen gezeigt?«
    »Nein, der Hintermeier Hubert war mit seinen Kindern dort.«
    »Oh …«
    »Cornelius, hör mir zu. Du musst dich jetzt zusammenreißen. Du darfst dich nicht gehen lassen. Du musst arbeiten. Schreiben! Hast du den Song geschrieben?«
    »Äh, fast. Also, ich hab da eine Idee.«
    »Du hast nichts, stimmt’s oder hab ich Recht?«
    Ich mache einen viel zu großen Schluck. Bier quillt aus meinen Mundwinkeln.
    »Hast du das Plakat gesehen?«, fragt Bob, der Sozialarbeiter.
    »Was für ein Plakat?«
    Bob zeigt zur Wand. Dann zur Tür. Überall hängen diese

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