Zeit der Idioten
Plakate. Handgeschrieben.
Nächsten Freitag: Live im Fiesta
SNAKE RATTLE & ROLL
Special Guest: Cornelius Fink,
der Mann, der überlebt hat,
präsentiert seinen Song zum Thema des Jahres.
Eintritt: 3 Euro / Karten bei Bob
»Der Mann, der überlebt hat? Thema des Jahres? Aber Bob, was –?«
»Bleib ganz cool, Mann. Du schaffst das. Du wirst sehen, die Leute werden kommen. Ich hab schon ein paar Karten verkauft.«
»Snake Rattle & Roll, der spinnt ja. Der Firngruber ist echt hinüber, Bob. Der ist verrückt, findest du nicht?«
»Ja, aber er ist in Ordnung. Er ist eine arme Sau, irgendwie. Ich hab dich gewarnt, weißt du noch? Ich habe dir gesagt, du sollst aufpassen, dass du nicht endest wie er. Und wenn ich ganz ehrlich sein darf, du arbeitest im Moment eher an einer Annäherung, wenn du mich verstehst.«
»Ach was. Und du bist der perfekte Ratgeber in Sachen Lebensführung und Moral, ja?«, kontere ich, winke ab und trinke weiter. Da sehe ich Johanna zur Tür hereinkommen. Sie geht direkt auf uns zu und begrüßt Bob. Ich spüre, dass sie sich küssen wollen, aber sie tun’s nicht.
»Ich muss jetzt was arbeiten«, sagt Bob.
Herzlichen Dank. Ein paar Minuten herrscht Stille. Da ist sie, die Peinlichkeit. Ich höre sie schnaufen und spüre ihren feurigen Atem.
»Hab ich dir erzählt, dass Bob vier Kinder hat?«, frage ich provokant.
»Ich weiß.«
Sie ist ganz ruhig. Alle sind so idiotisch ruhig. Mein Vater, Sarah und jetzt Johanna.
»Und eine Frau. Andrea, sie ist sehr nett.«
»Ich weiß das, Cornelius.«
»Wie lange kennt ihr euch jetzt?«
»Das weißt du ganz genau.«
»Mmhm, ja. Ach ja, war nicht ich es, der dich zu ihm gebracht hat, aus Sorge, dass dir in deinem Rausch was passieren könnte?«
Sie schweigt. Aber sie schaut mir mitten in die Augen. Jessas, die hat vielleicht Charakter!
»Und, was habt ihr vor? Ich meine, zieht er von zu Hause aus, oder …«
»Das wissen wir nicht. Cornelius, es tut mir wirklich leid.«
»Du redest wie eine Zwölfjährige, weißt du das?«
»Ich verstehe ja, dass du enttäuscht bist …«
»Enttäuscht? Ich bin nicht enttäuscht. Ich finde das zum Kotzen. Aber weißt du was? Eigentlich bin ich froh. Ich bin froh, dass du dich gleich von dieser Seite präsentiert hast. Hättest du’s in drei Monaten gemacht, wäre ich enttäuscht gewesen!« Normalerweise schaffe ich es nie, so mit Frauen zu reden. Muss wohl am Bier liegen.
»Ist ja gut, Cornelius, ich hab’s verstanden. Und ich versuche gerade, ganz ruhig zu bleiben, also würdest du das jetzt bitte respektieren?«
Ich unterdrücke mein Ja und nicke nur.
»Ich will dir das ja erklären. Ich meine, ich würde es dir gerne erklären, aber ich kann es nicht. Noch nicht. Ich verstehe es selbst noch nicht. Ich finde den Gedanken, eine Familie zu zerstören, auch widerlich, aber … Kennst du das, wenn etwas, eine Kraft, so stark ist, dass du ihr einfach nachgeben
musst
? Wo dir alles andere plötzlich egal ist? Einen Moment, in dem du spürst: Jetzt oder nie wieder? Kennst du das, Cornelius? Eine einmalige Chance, die so zwingend ist, dass du bereit bist, all deine Prinzipien, dein ganzes Glaubenssystem über Bord zu werfen?«
»Das Universum neu zu erschaffen …«
»Ja … du weißt, dass dein Ruf auf dem Spiel steht, aber du würdest deinen Job kündigen oder eben deine Familie verlassen, in ein anderes Land ziehen – einfach alles tun, um nach dem zu greifen, was sich dir anbietet. Um jeden Preis und sei es der Tod? Kennst du so etwas, Cornelius?«
»Nein«, sage ich überzeugt. »Ich bin nämlich kein Idiot!«
»Jetzt hör aber auf, ich erwarte bei Gott kein Verständnis von dir, aber immerhin Respekt, okay?«
»He, du bist mir nicht verpflichtet und ich dir nicht! Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen. Aber ich kann dir sagen, wer deinen Vortrag ohne Wenn und Aber unterschreiben würde. Ich kann dir sagen, wer dieses Gefühl kennt und wer diesem Gefühl oder dieser Kraft nachgibt, ohne seinen Verstand zu gebrauchen. Um jeden Preis und sei es der Tod? Der Tod, Johanna?? Jeder dieser scheiß Rucksackbomber denkt so!«
Jetzt ist Funkstille. Das ganze Lokal macht Pause und starrt mich an. Bob kommt her und gibt jedem von uns ein neues Getränk, obwohl Johanna ihr Bier noch gar nicht angerührt hat. Ich sehe ihm an, dass er uns gern umarmen würde oder so, aber er geht wieder und macht die Musik lauter.
»Wie geht’s Sarah?«, sagt Johanna dann.
»Gut, sie schläft. Ich glaube, ich hab’s
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