Zeit der Idioten
nicht ganz geschafft, ihr den Abend zu vermiesen. Aber sie redet jetzt nichts mehr mit mir. Sie hat ja auch einen Freund.«
»Ich weiß.«
»Natürlich … Kennst du ihn?«
»Ja, aus der Schule. Er ist ganz in Ordnung. Sechzehn eben.«
»Genau.«
Wir reden dann noch ein bisschen belangloses Zeug. Ich beobachte sie und wünschte, ich wäre schwul. Oder gar nichts. Ich hasse das. Ich hasse diese Anziehungskraft zwischen den Menschen. Sie führt immer nur von der Aufgeregtheit zur Enttäuschung. Ich habe diesen Weg satt. Er geht immer im Kreis. Zuerst verzehrst du dich nach ihr, willst sie schmecken und einsaugen, und dann, irgendwann, kannst du ihren Schweiß nicht mehr riechen. Zuerst schreibst du Gedichte und dann bringst du sie um. Wozu soll das alles gut sein? Fortpflanzung? Das ist doch dasselbe. Zuerst sind sie wunderbare Wesen und dann haben sie einen Freund. Als Kind hasst du die Erwachsenen, rebellierst gegen deine Eltern, nur um fünfzehn Jahre später genauso zu empfinden wie sie. Was soll das alles? Oder Bob – er war immer zufrieden, hat jung geheiratet und vier Kinder gezeugt, seine Frau geliebt. Seine Frau, Andrea, ist sehr nett, anständig, hübsch. Er hat diese völlig abnorme Plattensammlung – ich glaube, er hat zwei Zimmer ihres kleinen Hauses damit vollgeräumt, aber Andrea hat das immer akzeptiert. Sie ist eine wunderbare Frau. Bob hat’s irgendwie gut erwischt. Er hat seine Familie, einen Job, der ihm offensichtlich Spaß macht, er fühlt sich als Mentor und Guru der hiesigen Rock’n’Roll-Geschädigten und wird auch als solcher respektiert, er hat also sein Hobby, wenn es vielleicht auch mehr eine Art von Besessenheit ist, aber es ist das, was er braucht. Und dann lernt er plötzlich eine andere kennen und nach ein paar Tagen setzt er sein ganzes Leben aufs Spiel. Das ist doch bescheuert, oder?
Habe ich schon erwähnt, dass Bob Robert Zimmer heißt, aber immer mit Zimmermann unterschreibt? Kein Witz. Ihr wisst schon, das ist auch der bürgerliche Name von Bob Dylan. Ist das nicht verrückt? Will eigentlich irgendjemand der sein, der er ist? Es ist eine fremde, seltsame Welt, in die wir da hineingeworfen wurden. Ich weiß ja nicht, wie’s euch geht, aber ich versteh sie nicht. Entschuldigt meinen Durchhänger. Ich glaube, ich geh jetzt schlafen.
»Sarah hat mir noch etwas erzählt …«
»Was meinst du?«
»Sie hat mich gebeten, es dir nicht zu sagen, aber … sie hat Kontakt zu ihrem Vater aufgenommen …«
»Zu ihrem Vater …?«
»Zu ihrem Erzeuger.«
»Zu ihrem Erzeuger?«
»Ja.«
»Aber wie … und warum?«
»Ich glaube aus Verzweiflung, ich weiß auch nicht. Ihre Großeltern haben ihr dabei geholfen, glaube ich.«
»Scheiße, wieso … der ist … ein Idiot!«
»Sie sucht auch meine Nähe, Cornelius, aber in Wahrheit braucht sie
dich
, verstehst du? Eine Bezugsperson … aber du …«
»Was? Was?«
Ich weiß überhaupt nicht, was ich jetzt denken soll. Ich muss hier raus.
»Cornelius, hast du Snake schon angerufen?«, ruft Bob mir zu.
»Nein, hab ich nicht.«
»Bitte tu das. Er ist sehr bemüht. Wirklich. Hast du gewusst, dass Springsteen ihm einen Brief geschrieben hat?«
»Was? Blödsinn.«
»Nein, das stimmt. Snake hat im Lauf der Jahre Hunderte von Briefen an seine Helden geschickt, an Springsteen allein über dreißig. Und vor ein paar Wochen hat er ihm zurückgeschrieben, was sagst du jetzt?«
»Kommt drauf an, was drinsteht. Vielleicht steht da ja so was wie: Lass mich endlich in Ruhe, du perverser Vollidiot.«
»Nein, natürlich nicht. Du kennst doch Springsteen.«
»Tu ich das?« Warum sind Gläubige immer davon überzeugt, ihren Gott zu kennen?
»Er hat sehr freundlich geschrieben, aber natürlich auch sehr allgemein. Hat sich bedankt für die Briefe und die Unterstützung und gemeint, er freue sich schon auf Österreich.«
»Verstehe, na gut dann. Ich geh jetzt heim.«
»Vergiss nicht, Cornelius!«, sagt Bob noch und deutet auf die Plakate.
»Jaja.« Leck mich am Arsch.
Ich kann jetzt nicht gleich nach Hause gehen. Das mit Sarahs Vater ist doch verrückt. Das hat mir gerade noch gefehlt. Noch ein Klugscheißer, der mir Vorwürfe machen wird. Aber immer mit der Ruhe, wer weiß, vielleicht stimmt das alles ja gar nicht. Vielleicht ist das nur ein pubertärer Erpressungsversuch. Ich muss mich jetzt ablenken.
Ich schlendere durch Bölling. Die Nacht ist ungewöhnlich hell. Der Mond spielt seine Show, routiniert und professionell wie immer. Die
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