Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Moshammer
Vom Netzwerk:
diese verrückten Umstände. Ich schließe meine Augen und versuche, auch diesen Augenblick auszupressen wie eine seltene Frucht, jeden Tropfen bewusst aufzufangen und zu genießen, aber ich schaffe es nicht. Vor zwanzig Jahren habe ich einmal ein Mädchen geküsst und sie hat gesagt: »Den Moment möchte ich jetzt einfrieren.« Aber Jessas, das geht natürlich nicht. Damals sind wir schnell wieder aufgetaut und heute auch. Aber mit fünfunddreißig weiß man um die Besonderheit eines solchen Augenblicks. Ich weiß jetzt, dass ich nie wieder fünfzehn sein möchte, und das fühlt sich irgendwie gut an.
    »Wann musst du in der Bäckerei sein?«
    »Scheiße, das habe ich ganz vergessen. In einer Stunde.«
    »Ich würde sagen, wir bleiben noch ein bisschen sitzen, atmen durch und hauen dann ab, okay?«
    »Okay. Und noch einmal wegen vorhin, ich …«
    »Pscht … ist schon gut …«
    Der Kukuruz ist fast reif, der Mond spielt heute Nacht schon seine dritte Zugabe. Vielleicht ist es ja der Gig seines Lebens. Vielleicht ist es aber auch der Gig meines Lebens. In Snakes Haus poltert und rumort es. Und jetzt kann ich es auch hören:
    Outside of society,
that’s where I want to be.
Outside of society
they’re waiting for me
.

12. MANFRED
    Wär ja auch zu einfach gewesen.
    Es riecht gut in der Backstube. Ich kann gar nicht sagen, wonach. Nach Brot? Das drängt sich zwar auf, es ist aber eher eine nicht definierbare Mischung, Kümmel und Hefe oder so, aber auch süß. Was weiß ich. Ein sehr einfacher Geruch, als ob es ein Basisgeruch des Lebens wäre. Gibt es so was? Er beinhaltet eine gewisse Notwendigkeit. Und ich denke mir, wenn das Leben nur ein Furz ist, dann braucht es Gerüche wie diesen, um das Leben erträglich zu machen. Vielleicht wird ja wirklich alles gut.
    Herr Vogelauer schaut mich an, lächelt und schüttelt den Kopf, als ob er meine Gedanken lesen könnte. Dann zeigt er mir die Teigmischmaschine, in der ich einen Sauerteig mischen soll, den er später zu Brot vollenden wird.
    »Es ist ganz einfach«, sagt er. »Wasser, Mehl, Hefe, Butter, Salz, das findest du alles hier drüben. Ich schreib dir die Mengen auf.« Da läutet es an der Tür. »Wer kann das sein um diese Zeit?«, fragt er leise, wäscht seine Hände und geht zur Tür.
    Wisst ihr was? Bäcker ist möglicherweise ein interessanter Beruf. Und die Parallelen zur Musik sind unglaublich. Nicht nur wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die der Vogelauer mir während meines Vorstellungsgesprächs erörtert hat – nein, überlegt einmal, was ein Bäcker für die Gesellschaft bedeutet, und wie oder ob ihm der gebührende Respekt auch von der Gesellschaft entgegengebracht wird. Ich meine, Brot ist das Selbstverständlichste in einem Land wie Österreich. Musik genauso. Musik ist definitiv das Brot der Seele. Aber keiner scheint ein Problem damit zu haben, dass das billigste, sinnloseste und unsinnlichste Brot, das alle kiloweise kaufen, am nächsten Tag schon wieder hart und geschmacklos im Mist landet.
    Mir fallen nur wenige Orte in diesem zivilisierten Land ein, an denen es weder Brot noch Musik gibt. Und beides wird blind konsumiert. Das eine durch den Mund, das andere durch die Ohren, beides in den Bauch hinein. Aber beides wird auch wieder ausgeschissen, ohne richtig verdaut zu werden.
Richtig
verdaut – einem natürlichen, notwendigen Kreislauf unterzogen, also eingenommen, in sich aufgenommen, durchgelassen und wieder weitergegeben, versteht ihr?
    Nichts verkauft sich hierzulande so gut wie Mehlspeisen und Musik. Die Aushängeschilder der Nation. Aber die Bäckereien sperren der Reihe nach zu, und Musiker müssen Wetterkanalgedudel als Hintergrundberieselung für fressende und saufende Firmenbosse bei Eröffnungsfeiern spielen, um ihre Mieten bezahlen zu können. Ich meine
echte
Musiker. Wenn du bereit bist, Beamter oder Leichenschänder zu werden, darfst du gegen gutes Geld inklusive Pension verstaubte Staatskunstluftballons aufblasen und fliegen lassen. Die Japaner werden dich dafür sogar lieben. Was soll’s.
    Herr Vogelauer kommt zurück, aber nicht alleine. Ein Typ, der aussieht wie ein Sandler, er hat ein paar Zahnlücken mehr als ich, folgt ihm, zieht seine Jacke aus, eine Bäckerschürze an und wäscht sich die Hände. Der Vogelauer ist irgendwie nervös und kaut an seinen Fingern. Ein dumpfer Knall erschrickt uns alle drei.
    »Was war das?«, frage ich.
    »Hast du die Tür nicht zugemacht, Manfred?«, fragt der Vogelauer. Der

Weitere Kostenlose Bücher