Zeit der Jaeger
einer Pflicht, der man sich entledigt und die man sofort wieder vergisst.«
»Aber, obKhan, du beschreibst nur Tatsachen. Die Wahrheit.«
»Allerdings ist die Wahrheit subjektiv, frapos? Ein BattleMech ist das beherrschende Militärfahrzeug des zweiunddreißigsten Jahrhunderts. Er hat diesen Rang seit fast siebenhundert Jahren inne. Und trotzdem kann jeder MechKrieger Geschichten davon erzählen, wie er seinen Mech beinahe an einen unbeachteten Trupp Elementare verloren hat, frapos?«
»Pos. Was hat das mit dem Sprungsegel zu tun?«
Wieder musste er ein Lachen unterdrücken, als er ihre fragende Miene sah. Er verlagerte das Gewicht und spürte durch die Magnetsohlen hindurch die winzigen Vibrationen der hunderte Meter entfernten Maschinen.
»Das, wofür es steht. Es ist so verwundbar, so empfindlich, dass es weit über eine Stunde dauert, es zu entfalten, und doppelt so lange, es einzuholen. Wird es beschädigt, ist eine Reparatur fast unmöglich. Und doch ist es das Fundament der interstellaren Raumfahrt. Etwas so Winziges, durch dessen sorgfältigen, methodischen Einsatz es aber möglich ist, Großes zu erreichen. Jedes Mal, wenn ich ein Segel sich entfalten sehe, sehe ich vor mir, was die Menschheit erreicht hat.« Er löste die Hand von der Scheibe, wusste fast auf die Sekunde, bis wann das möglich war, ohne die Haut auf dem Glas zurückzulassen, und stellte sich Ryn genau gegenüber. Seine fahlblauen Augen standen seltsam groß in seinem kadaverschmalen Gesicht und brannten mit demselben kalten Feuer, das seine Hand in Brand setzte. Ein Schmerz, der nicht die geringste Spur auf seinen Zügen hinterließ.
»Sterncolonel, alles, was die Menschheit in den Jahrhunderten seit dem ersten Sprung der Pathfinder nach Alpha Centauri erreicht hat, lässt sich auf den Kearny-Fuchida-Antrieb zurückführen, und dieser Antrieb hängt nahezu vollständig vom Solarsegel ab. Die Kolonisierung tausender Welten. Die Gründung des wahren Sternenbunds. Selbst die Erhabenheit der Clans - unseres Clans - hängt entscheidend vom Solarsegel ab, und trotzdem nehmen wir es kaum zur Kenntnis.«
»Aber, obKhan« - das leichte Zögern in ihrer Stimme stieß ihn ab - »es gibt andere Möglichkeiten, den Antrieb aufzuladen, frapos? Den Reaktor. Eine Ladestation.«
Mitleid verschleierte seinen Blick. Warum fiel anderen das Verstehen so schwer? »Pos, Sterncolonel. Aber sie sind gefährlich, kostspielig und benötigen ständige Wartung, frapos?« Er sprach weiter, bevor sie antworten konnte. »Das Solarsegel ist in seiner Schönheit und Einfachheit völlig autark. Es benötigt nichts, was das Universum nicht freiwillig zur Verfügung stellt. Sollten wir uns daran kein Beispiel nehmen?«
»Clan Seefuchs ist autark. Worauf willst du hinaus?«
»Auf vieles, Sterncolonel, auf vieles.« Das lodernde Feuer in seiner Hand löste sich in ein Meer aus winzigen Nadelstichen in der fast wieder erwachten Hand auf, in den letzten Atemzug einer sterbenden Bestie, die er - wieder einmal - bezwungen hatte.
»Warum hast du mich hergebeten, obKhan?«
»Um dir die Schönheit des Solarsegels zu zeigen.«
»Ist das alles?«
Sha betrachtete Ryn sorgfältig. Beobachtete das Spiel der Muskeln in ihrem Gesicht, die Feuchtigkeit ihrer Lippen, die Bewegung ihrer Brust und kam zu einem Schluss. Sie wollte oder konnte es nicht sehen.
Ausschuss.
»Ja, Sterncolonel. Du kannst gehen.« Sie salutierte zackig und drehte sich um. In ihrer Eile, das Beobachtungsdeck zu verlassen, löste sie die Magnetschuhe vom Metallboden und hechtete zur Luke und dem wartenden Korridor.
Er wandte sich wieder um und bestaunte weiter die Einfachheit des Solarsegels. Sie war nützlich gewesen, doch nun war sie überflüssig geworden. Natürlich würden ihre Gene in einer zukünftigen Generation weiter von Wert sein.
»ObKhan.« Die elektronische Stimme hallte durch den Raum. Er ging zur Kommstation neben dem Aussichtsfenster und drückte den blinkenden Sprechknopf.
»ObKhan hier.«
»Die Ferner Stern III ist soeben im System materialisiert, obKhan. Sie meldet, dass Aimag Delta im
Adhafera-System gesichtet wurde. Er befindet sich seit mindestens einer Woche in weit reichenden Verhandlungen.«
»Danke.« Langsam trat ein Lächeln auf Shas Züge, und er legte beiläufig den Kopf an das Panzerglas. Augenblicklich grub die Kälte ihre Fänge tief in seine Stirn. Die Zeit ist reif, obKhan Petr. Wir schwimmen schon zu lange in denselben Strömungen, verletzen schon zu lange in
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