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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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kaputtgeht.«
    Hughes hatte ihr das Radio eine Woche zuvor geschenkt, und Nick hegte eine diffuse Feindseligkeit gegenüber dem Gerät. Er war mal wieder samstagnachmittags allein losgefahren und mit einer Schachtel zurückgekommen. Sie fragte nicht, warum er am Wochenende ohne sie mit dem Auto unterwegs war oder wohin er fuhr. Es lief immer gleich ab: Er warf durch die Fliegengittertür einen Blick in den Himmel und griff dann nach den Schlüsseln. Beim ersten Mal hatte sie zunächst gar nicht bemerkt, dass er weg war, hatte es erst registriert, als der Motor angelassen wurde. Sie war zur Tür gegangen und hatte den riesigen wolkenlosen Himmel betrachtet, den staubigen Zufahrtsweg, die dahinter verlaufende Straße, um herauszubekommen, was ihren Mann zum Wegfahren bewegt hatte. Aber so weit der Blick reichte, war nichts zu sehen gewesen. Nur der alte grüne Buick auf einer schnurgeraden Straße in Florida.
    Dann war eines Tages der Radioapparat aufgetaucht wie ein Spion von dort, wohin Hughes immer floh.
    »Ich dachte mir, du möchtest vielleicht auch mal etwas anderes hören als deine Schallplatten«, hatte Hughes zur Begründung gesagt. »Damit bekommst du vielleicht sogar Sendungen aus London rein.«
    »Aus London?«, hatte sie gefragt und überlegt, warum er glaubte, dass ihr das wichtig war. Aber da hatte er sich schon auf den Weg zur Dusche gemacht, und ihre Stimme hatte in der leeren Küche widergehallt.
    Nick schaute von den Krabben hoch. Hughes hatte das Radio zwar nicht eingeschaltet, spielte aber an den silbernen Knöpfen herum. Er hatte elegante Hände mit gepflegten quadratischen Fingernägeln. Alles an ihm war wie seine Hände, gut geschnitten und sauber und frisch. Nick sah zu, wie er die Senderskala betrachtete und mit den Fingerspitzen über die braune Lautsprecherabdeckung fuhr. Sie hätte ihn fressen können, so schön war er. Ihr war danach, zu weinen oder dahinzuschmelzen oder mit den Zähnen zu knirschen. Stattdessen pulte sie die nächste Krabbe aus der Schale.
    »Sieht gut aus«, sagte Hughes. Er trat hinter sie und legte ihr die Hand unten auf den Rücken.
    Nick musste sich an der Theke festhalten, um nicht die Fassung zu verlieren. Sie roch ihn, Ivory-Seife und Bay-Rum-Rasierwasser; er war ganz dicht an ihrer Haut, aber er berührte sie nicht. Der Badeanzugstoff war dazwischen. Sie wollte seine Hand an ihrem Hals haben oder auf ihrem Arm oder zwischen den Beinen.
    »Schmeckt bestimmt köstlich«, sagte er.
    Sie wusste, dass es ihm leidtat, sie wegen der Krabben so angefahren zu haben. »Na ja«, sagte sie, plötzlich viel weniger bedrückt. »Ich weiß, es gibt wahnsinnig oft Krabben bei uns, aber das liegt vor allem daran, dass ich immer so lang schlafe und für den frühen Markt einfach nicht rechtzeitig aus dem Bett komme. Findest du es schlimm, so eine faule Frau zu haben?«
    »Ich habe eine wunderbare Frau.«
    Sie wollte sich gerade zu ihm umdrehen, da nahm er seine Hand von ihrem Rücken. Wäre er nicht schon ein paar Schritte entfernt gewesen, hätte sie seine Hand ergriffen, ihn zu sich gezogen, ihn vielleicht sogar angefleht.
    Er ging auf die mit Fliegengittern umgebene Terrasse hinaus, und sie sah ihm nach. Er stakste wie ein Schlafwandler auf seinen langen Beinen. Der unsichtbare Abdruck seiner Hand brannte auf ihrer Haut.
    Nachdem sie mit den Krabben fertig war und sie im Kühlschrank kalt gestellt hatte, ging Nick ins Schlafzimmer und zog vorsichtig ihren Badeanzug aus. Dann duschte sie in dem kleinen, an das Schlafzimmer angeschlossenen Bad. Als sie den Kleiderschrank öffnete, sprang ihr eine Kakerlake von der Größe eines Sperlings entgegen, zehnmal größer als alles, was sie jemals oben im Norden gesehen hatte. Eine von den Soldatenfrauen hatte sie mal als Wasserwanzen bezeichnet. Nick schrie nicht; sie erschrak inzwischen nicht einmal mehr beim Anblick der Dinger.
    Sie ging die Sachen an der Stange durch und griff nach einem luftigen Kleid aus Baumwolle mit Kirschenmuster und Herz-Dekolleté. Sie schlüpfte hinein, betrachtete sich im Spiegel und schnitt schließlich mit ihrer Nähschere die Träger ab. Sofort schnellten ihre Brüste so weit nach vorn, dass der herzförmige Ausschnitt gerade noch den oberen Rand der Brustwarzen bedeckte. Sie bürstete das dunkle, trotz der Sonne immer noch glänzende Haar nach hinten. Sie wirkte stark und gesund und auch ein bisschen weniger streng mit der neuerdings nussbraunen Haut und den dadurch hervorgehobenen gelben Pünktchen in

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