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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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weggegangen?«
    »Ohne ein einziges Wort, Sir.«
    »Dann hat er bestimmt vor zurückzukehren. Vielleicht kommt er heute noch, in der Nacht, er kann jederzeit kommen.«
    Will zuckt wieder mit den Schultern. Seine Eichhörnchenaugen sehen mich nicht an. »Schon möglich, Sir. Doch ich glaube es nicht.«
    Ich gebe diese Unterhaltung auf und gehe mit Will zum Olivenzimmer, das bis ins letzte Detail noch so ist wie seinerzeit, als ich siebenunddreißig Stunden darin verbracht und Pearces Schlaf bewacht habe. Der Gedanke, daß ich eine Nacht darin schlafen werde, in den kühlen Leinentüchern und hinter dem grünen Baldachin mit den scharlachroten Quasten, bewegt mich, und ich setze mich auf den kleinen, gepolsterten Sitz unterhalb des Fensters und danke Will dafür, daß er dieses Zimmer für mich hergerichtet hat. Plötzlich fühle ich mich müde und denke, daß ich in meiner Müdigkeit wieder einmal Dinge sehe und höre, die gar nicht da sind. Als mein Blick von der Treppe in die Halle hinunterfiel, glaubte ich einen Lakaien in Livree zu sehen, der leise aus der Tür des Mor
genzimmers kam und zum Küchendurchgang huschte, und jetzt, als ich mich umdrehe und auf die Bäume hinausschaue, in denen der Wind säuselt, und auf die sich bewegenden Schatten im Park, bilde ich mir ein, in weiter Ferne dasselbe Hundegewinsel zu hören, das mich erst vor kurzem veranlaßt hatte, die Tür meines Zimmers über dem Lautenbauer zu öffnen und in das Dunkel hinauszuspähen.
    Es ist mitten am Nachmittag. Ich sage zu Will, daß ich mich ein wenig ausruhen wolle. Er verläßt mich und schließt die Tür hinter sich. Doch ich schlafe nicht, ja, ich mache nicht einmal die Augen zu, sondern liege nur still da, lausche auf den Wind und frage mich verwundert, wo ich bin.
     
    Obgleich ich mir dabei etwas einsam und dumm vorkommen werde, bestehen Will und Cattlebury darauf, daß das Abendessen im Speisezimmer serviert wird.
    Ich trage meinen blauen Anzug mit den cremefarbenen Borten. Ich werde nicht an das Kopfende plaziert, wo ich immer zu sitzen pflegte, sondern sozusagen an meine rechte Seite, als wäre ich mein eigener Ehrengast.
    Das Zimmer ist von unzähligen Kerzen beleuchtet.
    »Blas ein paar davon aus, Will«, sage ich, »ich brauche keine hundert Lichter, um eine Karbonade zu essen.« Doch er weigert sich. »Ihr liebtet das Licht, Sir Robert«, meint er. »Ihr habt das immer zu mir gesagt.«
    Cattlebury hat für mich ein sehr reichhaltiges Mahl zubereitet, und er und Will sind enttäuscht, weil ich nur ein paar Bissen davon essen kann. Ich sehe, wie diese beiden Männer mich anschauen und denken: »Er ist nicht mehr er selbst«, und es rührt mich, zu erfahren, daß der alte Merivel – den Pearce und Celia so verachtet haben und über den sich der
König so geärgert hat – für sie ein bedeutender Mann gewesen war.
    Der Burgunder, der mir zum Essen serviert wird, duftet nach den Früchten des Sommers und geht mir so ins Blut, daß ich mich nach dem Mahl kaum noch vom Tisch erheben kann, so schwer sind mir die Glieder.
    »Mein Gott«, sage ich zu Will, der mir hochhilft, »man könnte meinen, ich sei in der letzten halben Stunde ein alter Mann geworden.«
    »Ihr seid müde von Eurer Reise, Sir, das ist alles.«
    »Entweder das, Will«, antworte ich, »oder aber, ich sterbe.«
    »Nun, Sir Robert, es geht wohl nicht, daß Ihr im Speisezimmer sterbt. Das wäre allzu schrecklich. So wollen wir Euch in Euer Bett bringen.«
    Ich sage zu Will, ich möchte lieber in den Park gehen, über den die Wolken inzwischen hinweggezogen sind und einen runden, weißen Mond freigegeben haben, und um das Haus herumlaufen und die Frühlingsnacht einatmen. Er sieht mich an und schüttelt den Kopf, als glaube er, daß meine Lunge von der Luft wie von einem Messer durchlöchert werden würde, doch ich taumele in die Halle und auf die Tür zu und ziehe ihn mit mir. »Komm, Will«, sage ich, »wir haben nur diese eine Nacht.«
    Die Tür ist offen, und ich blicke hinaus und sehe ein kaltes Licht, das auf den Rasen fällt, und rieche die Erde. Und dann weiß ich nichts mehr.
     
    Ich erwache unter dem grünen Baldachin. In den scharlachroten Quasten hängt die süße Erinnerung an Pearce.
    Es ist warm im Zimmer. Ich trage mein Nachthemd und meine Nachtmütze. Ich weiß nicht, wieviel Uhr und welcher
Tag es ist, habe aber den Eindruck, daß ich lange Zeit geschlafen habe.
    Ich greife in mein Gesicht und stelle fest, daß es sehr stoppelig ist. Was für ein

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