Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
Vom Netzwerk:
antworten. Das Polizeiauto stellte sich quer, die Türen gingen auf, zwei Uniformierte sprangen heraus, mit der Pistole im Anschlag. Wie gelähmt hörte Guido sie schreien: „Absteigen und Hände hoch!“
    Rossana drückte ihm einen Revolver in die Hand. Guido konnte ihr nicht einmal sagen, dass er noch nie in seinem Leben einen gesehen hatte.
    Zwei Schüsse explodierten in seinen Ohren. Die Umrisse der Polizisten verschwanden. Vielleicht suchten sie Deckung hinter dem Auto. Vielleicht waren sie getroffen worden. Guido atmete den Geruch des Schießpulvers ein, dann sah er, wie Rossana auf das Motorrad zugelaufen kam. Im grellen Licht des Scheinwerfers sah ihr Gesicht aus wie das einer Toten.
    – Los! Weg!
    Sie kehrten zur Tankstelle zurück. Guido zitterte, er strengte sich an, ruhig zu bleiben, schaffte es jedoch nicht. Sie hingegen war ganz klar und kalt.
    – Wir dürfen uns nicht wieder sehen. Und du sei auf der Hut. Sie werden dich suchen. Die Sache ist größer als du dir vorstellen kannst.
    Sie küsste ihn auf den Mund und verschwand.
    Guido bewegte sich wie in Zeitlupe. Er konnte sie nicht einmal mehr rufen, sie war bereits in der Dunkelheit verschwunden. Er hörte, wie ein Motor angelassen wurde, zwei Scheinwerfer durchbrachen einen Augenblick lang die Nacht, dann wieder Dunkelheit. Guido war schwindelig, plötzlich wurde ihm schlecht. Er kotzte.

7.
    Er gabelte Flavio vor dem Argentovivo auf, kurz vor Mitternacht. Wie immer baute sich sein Freund gerade ein ordentliches Rohr. Benebelt wie er war, brauchte er eine Zeit lang, um zu verstehen, worum es ging.
    – Ich sitze in der Patsche.
    – Patsche? Welche Patsche?
    Guido war noch immer leichenblass.
    – In einer ordentlichen Patsche.
    – Warum bist du nicht zur Demo gekommen? Ein Haufen Genossen war da. Auch Hamid und der andere, wie heißt er doch gleich? Salah … und noch ein Haufen Rauschebärte, die ganze Moschee war da!
    – Die Wohnung in Terracina … hast du noch die Schlüssel?
    – Sicher habe ich sie. Gehört ja meiner Familie. Was ist passiert?
    – Ich muss eine Zeit lang untertauchen. Ich werde gesucht.
    – Die Blondine hat damit zu tun, nicht wahr? Die, die du gestern Abend in der Bar abgeschleppt hast … hast du sie wenigstens gefickt?
    – Flavio, sie suchen mich, gib mir bitte die Schlüssel und vergiss, dass du mich gesehen hast …
    Um zwei Uhr nachts kam er in der Villa Eucalipto im Bezirk Mare Miraggio an. Er parkte das Motorrad in der Garage und ließ sich auf ein Sofa fallen, das staubig und muffig roch. Er machte den Fernseher an. Die Demo wurde mit zwei Worten abgetan: Gewalttätige Globalisierungsgegner. Keine Silbe über die Schießerei.
    Vielleicht hatten die Agenturen die Nachricht noch nicht rausgegeben. Vielleicht hatten sie beschlossen, die Sache zu vertuschen. Guido fror. Er hatte Hunger. Angst.
    „Wir dürfen uns nicht wieder sehen“, hatte Rossana zu ihm gesagt, bevor sie in der Nacht verschwand. „Die Sache ist größer, als du dir vorstellen kannst.“
    Er hatte das Gefühl, dass sie mit allen Mitteln versucht hatte, ihn rauszuhalten. Ihm etwas zu sagen. Aber sie hatte sich ihm nicht völlig anvertraut. Obwohl sie zusammen gewesen waren. Sich geliebt hatten. Und sie verstellte sich nicht. So konnte man sich nicht verstellen. Es war schiefgelaufen. Sie waren verpfiffen worden. Oder in eine Falle gelockt worden. Er dachte an den Augenblick, als Rossana ihm die Pistole in die Hand gedrückt hatte, und ihm fiel ein Freund seines Vaters ein, ein Banker aus Genf, der Havannas zu dreihundert Euro das Stück rauchte und ihn einmal als Salonkommunisten bezeichnet hatte. Der Banker finanzierte jede Menge Selbsthilfegruppen in aller Welt. „Das werdet ihr Salonkommunisten nie verstehen“, sagte er, „man muss den Armen Geld geben, damit sie nicht zu wütend werden. Leider verstehen das viele Salonkommunisten nicht …“ Ein Salonkommunist. Rossana hingegen hatte ihre Pistole benutzt. Auf die Wachen geschossen. Vielleicht war jemand gestorben, vielleicht auch nicht. Es war zu schnell gegangen. Das Duell, die Schießerei, die Flucht.
    „Wir dürfen uns nicht wieder sehen.“
    Er träumte gerade, dass ein Zug entgleiste und ihn voll erfasste. Guido spürte, wie sich das Blech zusammenschob und auf den Boden stürzte. Er riss die Augen auf. Er sah gerade noch, wie die Tür der Villa aufgesprengt wurde, dann stürzten sie sich schon auf ihn. Drei, vielleicht auch vier. Schläge. Muskeln in Aktion. Geruch von Leder. Er

Weitere Kostenlose Bücher