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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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versuchte zu schreien, aber sie klebten ihm ein Band auf den Mund. Sie stülpten ihm eine schwarze Kapuze über den Kopf und schleppten ihn raus. Tonlos. Bevor sie ihn in den Kofferraum sperrten, rammten sie ihm eine Nadel in den Arm. Er wurde ohnmächtig.

8.
    Er wachte in einem großen Gewölbe auf, einer Art leerem Keller. Sie hatten ihm die Kapuze abgenommen. Geruch nach Fäulnis, Kotze, Tieren. Eine Glühbirne an der Decke spendete schwaches Licht.
    Mit Fußtritten befahlen sie ihm aufzustehen. Sie waren zu zweit. Ein kleiner Untersetzter und ein ziemlich Dicker. Jeans und schwarze Pullover, Sturmhauben. Guido dachte an Chile. Er dachte, sie würden ihn abschlachten wie ein Tier, und er brüllte, so laut er konnte. Der Dicke versetzte ihm eine Ohrfeige. Der Kleine schüttelte missbilligend den Kopf. Der Fette verpasste ihm einen Tritt in den Unterleib. Er ging zu Boden. Der Fette packte ihn an den Haaren und zwang ihn aufzustehen.
    – Wir wissen alles. Ihr wolltet den Scheißaraber befreien. Ihr habt auf die Unsrigen geschossen. Aber ihr seid uns nicht gewachsen. Wir sind nicht das Gesetz. Wir liefern euch nicht einem Richter aus, der euch in einem Monat wieder nach Hause schickt. Wir machen euch hier fertig, an Ort und Stelle, gleich!
    Guido versuchte ein wenig Würde wiederzuerlangen, während sich die Angst mit Übelkeit vermischte. Am liebsten hätte er geweint oder sich ihnen zu Füßen geworfen, um Gnade gewinselt.
    – Ich habe das Recht auf einen Prozess. Ich will einen Anwalt!
    Der Fette lachte ihm ins Gesicht. Der andere schüttelte wieder den Kopf. Der gute und der böse Cop. Ein Spiel, so alt wie die Welt.
    – Komm, du Arschloch, ich zeig dir was …
    Der Fette packte ihn am Arm und stieß ihn nach hinten in den Raum. Da war eine Tür mit einem Guckloch. Der Kleine bedeutete ihm mit einer Geste, er solle durchschauen. Noch hatte er sich die Hände nicht an ihm schmutzig gemacht.
    Guido sah ein anderes Zimmer. In der Mitte stand ein Stuhl. Darauf hatten sie Rossana festgebunden. Sie geknebelt. Ihr Kopf hing nach vorne. Ihr Oberkörper war nackt. Guido sah die blauen Flecken, die Blutspuren. Er schrie. Der Fette zog ihn vom Guckloch weg und begann ihn wieder zu ohrfeigen. Mit eiskalter, methodischer Ruhe. Er durfte nicht weinen. Er versuchte sich Augenblicke des Glücks vorzustellen, Szenen seiner Kindheit, liebevolles Lächeln, einen heißen Strand. Aber er konnte sich an keinen Augenblick des Glücks erinnern. Keine Vergangenheit. Nichts. Nur Rossana dort auf dem Stuhl.
    – Das ist nur der Anfang. Jetzt ficken wir sie abwechselnd durch. Und du sitzt in der ersten Reihe und darfst zuschauen.
    Wieder Ohrfeigen. Faustschläge. Guido schloss die Augen. Schreie. Beleidigungen. Plötzlich unwirkliche Stille. Geräusche von Schritten, eine Tür ging auf und wieder zu. Der Kleine trat auf ihn zu und wischte ihm mit einem Taschentuch das Blut ab.
    – Man muss nicht immer bis zum Äußersten gehen. Nicht immer. Manchmal ist es besser, rechtzeitig aufzuhören. Für dich ist es gerade noch rechtzeitig, Junge …
    Und angesichts dieses unerwartet freundlichen, fast brüderlichen Tons ging Guido in die Knie. Er begann zu weinen.

9.
    Dantinis Sohn hieß Jonathan. Das Kind war das letzte Zugeständnis an seine Frau gewesen, bevor die Arbeit auch noch das letzte Stück Privatleben zunichte gemacht hatte. Sofern man eine kaputte Ehe überhaupt als „Leben“ bezeichnen konnte. Dantini schaffte es, das Kind ein paar Mal die Woche zu sehen. Das waren die einzigen glücklichen Stunden. Der einzige Augenblick, in dem er sich als vollständiges menschliches Wesen fühlte. Und er hatte sich geschworen, den Jungen auf alle Fälle daran zu hindern, Polizist zu werden.
    Wie jeden Sonntag fuhr er mit ihm in den Vergnügungspark im EUR. Wie jeden Sonntag hatte Jonathan darauf bestanden, dass sein Vater mit ihm Raumschiff fuhr, dann Riesenrad, dann wieder Raumschiff und noch einmal Riesenrad, und dann noch ein letztes Mal Raumschiff, und schließlich kam wie jeden Sonntag der Augenblick des Schießens.
    – Schieß, Papa.
    Und Papa hatte einen Bären nach dem anderen abgeschossen, und Jonathan hatte enthusiastisch geklatscht, und schließlich überreichte ihnen der Besitzer des Schießstands den x-ten Plüschbären, den seine Mutter zu Hause verschwinden lassen würde. Wie den kleinen Hund, der eines Tages zum Pipi machen rausgelassen worden war und nicht wiederkam, und den kleinen Goldfisch, der jetzt im Ozean schwamm, die

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