Zeit des Aufbruchs
eintraten, sahen sie, daß eine der mächtigeren Familien Maras Position anerkannt hatte. Deutlich unwillig, ihre Beliebtheit zu testen, grüßten sie mit unterschiedlicher Begeisterung und nahmen ihre Plätze ein.
Dann stolzierte der eigentliche Clanlord in die Halle, Lord Benshai von den Chekowara. Sein farbenprächtiges Gewand blähte sich wie ein Segel um seinen gewaltigen Körper. Er war tief in eine Unterhaltung mit seinen Beratern versunken und so sehr von seiner eigenen Wichtigkeit eingenommen, daß er bereits die Hälfte der Treppenstufen zurückgelegt hatte, ehe er die Gestalt bemerkte, die seinen Thron besetzt hatte.
Er hielt einen kurzen Moment abrupt inne, die Augen in dem dunklen Gesicht weit aufgerissen. Dann bedeutete er seinem geschwätzigen Berater zu schweigen und bewegte seine Masse in verblüffender Geschwindigkeit die übrigen Stufen herab, um sich der Lady der Acoma entgegenzustellen.
Kevin enthielt sich eines Kommentars, denn Maras Taktik war jetzt offensichtlich. Abgesehen von der Tatsache, daß das frühere Eintreffen eigentlich eine Sache der rangniederen Herrscher war, geriet jeder, der von der untersten Ebene aus auf die Person auf dem Thron starrte, in Nachteil.
»Lady Mara –«, begann der Lord der Chekowara.
Mara schnitt ihm das Wort ab. »Es geht mir gut, Mylord. Wie geht es Euch?«
Einige der geringeren Edlen konnten ein Lächeln nicht unterdrücken. Indem Mara auf eine nicht gestellte Frage antwortete, tat sie so, als hätte der Clanlord ihre überlegene Position bereits anerkannt.
Lord Benshai stotterte und riß sich dann zusammen. »Das war nicht –«
Mara unterbrach ihn wieder. »Das war nicht was, Mylord? Vergebt mir, ich hatte angenommen, Ihr hättet Manieren.«
Doch ein Mann, der an die Macht gewöhnt war, ließ sich mit Wortgeklingel nicht lange hinhalten, wie geschickt es auch sein mochte. Autorität sprach aus seiner Stimme, als er laut antwortete: »Lady, Ihr sitzt auf meinem Podest.«
Die Lady der Acoma antwortete mit einem durchdringenden Blick. Auch ihre Stimme hatte etwas Herrisches, was niemand der Anwesenden überhören konnte, als sie verkündete: »Ich glaube nicht, Mylord!«
Lord Benshai von den Chekowara richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Elfenbeinschmuck klimperte an seinen Handgelenken und am Hals, als er wütend auffuhr. »Wie könnt Ihr es wagen!«
»Ruhe!« befahl Mara, und die übrigen im Saal gehorchten.
Die Fügsamkeit der Anwesenden entging Lord Benshai nicht. Er drehte seinen kurzen Hals und blickte die Lords an, die ihn im Stich gelassen hatten. Nur noch sein Stolz hielt ihn aufrecht.
Mara wandte sich jetzt nicht nur an den Lord der Chekowara, sondern an alle im Saal. »Es ist Zeit für klare Worte, Stammesangehörige.«
Jetzt senkte sich absolute Stille über die gewaltige Halle. Es war selten, daß jemand in der Öffentlichkeit Worte benutzte, die die Blutsbande zwischen ihnen betonten, denn die Tsuranis maßen Beziehungen große Bedeutung bei. Jeder Hinweis auf die Verwandtschaft, wie vage auch immer, wurde als wichtig und auch persönlich betrachtet. Obwohl alle Clanmitglieder in weit zurückliegender Vergangenheit Blutsverwandte gewesen waren, waren die Beziehungen im Laufe der Zeit schwach geworden und wurden niemals betont, damit nicht Fragen der Schuld oder Ehre ins Spiel kommen konnten.
Als würde der Lord der Chekowara nicht verblüfft am Fuße des Podestes stehen, sprach Mara weiter zu den Lords auf den Galerien. »Das Schicksal hat es so gefügt, daß Ihr Mitglieder eines Clans seid, der seit langem als ehrenvoll gilt« – viele in der Halle murmelten zustimmend, und Mara erhob ihre Stimme, um sie zu übertönen –, »doch keine Macht besitzt.« Die Stimmen erstarben. »Mein Vater zählte zu den edelsten Lords im Kaiserreich.« Wieder pflichteten ihr einige Herrscher bei. »Doch als seine Tochter einem mächtigen Feind allein gegenüberstand, dachte keiner ihrer Verwandten daran, ihr auch nur symbolische Unterstützung zu gewähren.«
Jetzt sprach niemand mehr, als Mara ihren Blick über die Galerien schweifen ließ.
»Ich verstehe so gut wie jeder von euch, warum das so ist«, sagte sie. »Doch ich glaube ebenfalls, daß politische Gründe keine ausreichende Rechtfertigung sind. Schließlich«, erklärte sie in bitterem Tonfall, »quälen uns keine Gewissensbisse. So ist es üblich bei den Tsuranis, bestärken wir uns immer wieder. Wenn ein junges Mädchen getötet wird und der Natami einer ehrenwerten
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