Zeit des Aufbruchs
setzte und die Begrüßung von Lujan, Keyoke und Nacoya entgegennahm. Das Haus schien plötzlich unscheinbarer. Mara verspürte wieder Trauer darüber, daß sie das Haus ihres Vaters nicht mehr länger als den großen, wunderbaren Ort betrachtete, der er während ihrer Kindheit gewesen war. Als Herrscherin und Clanlady sah sie jetzt nur ein schwer zu verteidigendes Stück Land und ein angenehmes Wohnhaus, dem es jedoch an Größe und den Gästesuiten mangelte, die eine Herrscherin von ihrem Stand benötigte. Einen Augenblick gab Mara sich dem bitteren Gedanken hin, daß ihr meistgehaßter Feind an einem Ort wohnte, der nicht nur der am besten zu verteidigende im ganzen Kaiserreich war, sondern auch noch der schönste.
Als Mara die Schwelle betrat, Kevin wie immer hinter ihr, folgte auch Nacoya. Sie war verärgert, daß die Mistress nur flüchtig auf ihre Willkommensgrüße reagiert hatte, und verlor beinahe die Beherrschung. »Was ist in Euch gefahren, Mara? Habt Ihr Euren Verstand verloren?«
Die Zurechtweisung riß Mara abrupt aus ihren Gedanken. Sie drehte sich mit einem Ruck zu ihrer Beraterin um, die tief gerunzelte Stirn eine einzige Warnung. »Was meinst du damit?«
»Diese Herrschaft über den Clan.« Nacoya schwenkte ihren Finger scheltend in der Luft, wie sie es oft in den Zeiten als Kindermädchen getan hatte. »Warum habt Ihr Eure Absichten nicht besprochen, bevor Ihr gehandelt habt?«
Mara stand mit vor der Brust gefalteten Armen unbeweglich da. »Die Idee ist mir erst gekommen, als wir schon die Hälfte des Weges nach Kentosani zurückgelegt hatten. Als ich aufbrach, wollte ich den Clan nur überzeugen, das zu tun, was ich verlange, doch auf dem Fluß hatte ich Zeit zum Nachdenken –«
»Ich wünschte, Ihr hättet die Zeit besser genutzt!« fiel die Erste Beraterin ihr ins Wort.
»Nacoya!« Maras Augen blitzten vor Wut. »Ich lasse mich nicht wie ein kleines Mädchen behandeln. Was genau gefällt dir nicht?«
Die Erste Beraterin verbeugte sich entsprechend den ungeschriebenen Regeln, aber nicht mehr; sie zeigte damit, daß sie nicht im mindesten eingeschüchtert war. Auch ihre Stimme enthielt jetzt viel Zorn, als sie sagte: »Ich bitte um Vergebung, Lady. Doch da Ihr den Clan Hadama gezwungen habt, Eure Vormachtstellung anzuerkennen, habt Ihr gleichzeitig eine öffentliche Botschaft abgegeben, daß Ihr eine Macht seid, gegen die man kämpfen muß.«
Der Vorwurf traf Mara unvorbereitet, und sie wollte die Angelegenheit erst einmal beiseite schieben. »Nichts hat sich geändert, außer –«
Nacoya legte ihre alten Hände fest auf Maras Schultern und blickte ihrer Herrin in die Augen. »Viel hat sich geändert. Vorher seid Ihr als fähiges Mädchen betrachtet worden, das Fallen entkommen, sich verteidigen und ihr Haus stärken konnte. Selbst nach Jingus Tod konnten die Mächtigen des Kaiserreiches Euren Erfolg noch als Glück abtun. Doch jetzt, da Ihr andere gezwungen habt, Ehre an Euch abzutreten, erklärt Ihr der Welt, daß Ihr eine Bedrohung seid! Tasaio muß handeln. Und er muß es schnell tun. Je länger er wartet, desto stärker werden seine Verbündeten und Vasallen an seiner Entschlußkraft zweifeln. Vorher konnte er in Ruhe eine geeignete Gelegenheit abwarten; jetzt muß er etwas tun. Er ist in einer verzweifelten Lage – das habt Ihr gemacht.«
Mara spürte plötzlich ungeahnte Kälte in sich aufsteigen. Mit einer seltsamen Sicherheit wußte sie, daß Nacoya in ihrer Einschätzung der Lage recht hatte. Die neuen Sorgen, die sich mit den anderen wegen ihrer Handelsprobleme vermischten, stiegen ihr zu Kopf, und sie schloß für einen Moment die Augen. »Du hast recht.« Sie lächelte dünn vor Verdruß, erlangte ihre Beherrschung wieder und fügte hinzu: »Ich habe überstürzt gehandelt, und … am besten ist es, sobald wie möglich, wenn ich mich etwas erfrischt habe, einen Rat einzuberufen. Wir müssen – Pläne schmieden.«
Nacoya nickte brummend. Als Kevin Mara zu ihren Gemächern begleitete, schaute die alte Amme sorgenvoll hinterher, nicht nur, weil Mara gedankenlos gehandelt hatte, sondern auch weil sie müde aussah, vollkommen erschöpft. So lange Nacoya ihr auch schon diente, noch nie hatte sie die Tochter ihres Herzens so mitgenommen gesehen.
Die Erste Beraterin seufzte und schüttelte den Kopf. Sie alle mochten sich treffen und besprechen, solange sie wollten; Pläne konnten entworfen und nach ihnen gehandelt werden, doch was konnte wirklich noch zur Sicherung von Besitz
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