Zeit des Lavendels (German Edition)
stillstehen zu können, wie ein Wolf in einem Käfig. Noch immer nagte dieser stille Groll in Katharina, die Rebellion dagegen, dass manche auf der Sonnenseite des Lebens geboren waren und andere eben nicht. Doch sie war erwachsener geworden in diesem halben Jahr. Mit jedem Tag etwas weniger Kind und ein wenig mehr Frau.
Abrupt wandte sich Magdalena zu ihr um. »Katharina, du musst fort von hier.«
»Warum? Habe ich etwas falsch gemacht? War meine Arbeit nicht gut? Ihr wollt doch nicht etwa ...? Ich muss doch nicht etwa nach Meersburg zu Jakob Murgel?«
Magdalena von Hausen schüttelte traurig den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Obwohl ich den Verdacht nicht loswerde, dass dieser Mann etwas damit zu tun hat. Aber ich kann es nicht beweisen. Es ist nur so ein Gefühl.«
»Etwas womit zu tun hat? Ich verstehe nicht, was Ihr mir eigentlich sagen wollt, hohe Frau.« Fragend blickte Katharina in das angespannte Gesicht der Äbtissin.
»Hast du denn nicht mitbekommen, was in den Gängen des Stiftes getuschelt wird? Immer mehr Gerüchte machen die Runde.«
Katharina nickte. »Schon, aber ich habe mich nicht weiter darum gekümmert.«
»Mädchen, die Menschen sind seltsam. Wenn es ihnen gut geht, trauen sie dem Zustand nicht und sie suchen förmlich nach dem Unheil. Sie nehmen Ereignisse, kochen sie zusammen mit Vermutungen und blasen so lange in diese Suppe, bis der Rauch sich wie ein Sturm daraus erhebt. Diesmal sind wir beide in seinem Zentrum. Irgendjemand muss uns beobachtet haben, als wir im Sommer Wibrandis Rosenblatt in der Hütte der alten Nele besuchten. Inzwischen ist daraus das Gerücht entstanden, dass du und ich Ketzerinnen wären. Und noch schlimmer. Dich hat gestern der Speicherverwalter des Stiftes, Spichwärter Hans Köhler, sogar offen als Hexe bezeichnet. Das ist ernst, Katharina. Wir dürfen nicht warten, bis die Gerüchte noch lauter werden und Murgel einen Grund hat, sich einzuschalten. Wenn es erst zu einem Tribunal kommt, bist du verloren. Dann habe ich kaum noch Möglichkeiten, dich zu schützen. Doch noch ist es nicht offiziell. Du musst jetzt weg, bevor es zu spät ist.«
Katharina lachte schallend. »Ich eine Hexe! Das kann doch nur ein Witz sein. Das kann doch wirklich niemand ernst meinen. Und was ist mit Euch? Glaubt Spicher Köhler am Ende auch, dass Ihr eine Hexe seid?«
Magdalena von Hausen schüttelte den Kopf. »Nein, so weit geht die Phantasie der Leute wohl doch nicht, dass sie sich vorstellen könnten, die Herrin des Stiftes Seggingen sei mit dem Teufel im Bunde. Und der Vorwurf der Ketzerei ist zwar ernst, aber ich habe mich' schon einmal erfolgreich dagegen verteidigt. Damals war ich eine unbeholfene und naive blutjunge Frau. Etwa in deinem Alter. Aber ich habe und hatte damals gute Freunde, die mir zu Seite standen. Und heute habe ich auch die Macht, mich notfalls vor Ferdinand von Habsburg und Kaiser Karl selbst zu verteidigen. Nein, mir wird hier nichts geschehen, auch wenn ich mich in der nächsten Zeit vorsehen muss. Aber bei dir ist das anders. Deine Stellung ist ungefestigt, viele misstrauen dir schon deshalb, weil du anders bist, weil sie nicht wissen, woher du kommst. Vielleicht hätte ich dich nicht zu meiner persönlichen Dienerin machen sollen. Mag sein, dass auch das einen gewissen Neid erweckt hat. Auf jeden Fall musst du fort. Schnellstens. Bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
»Hohe Frau ...« Katharina biss sich auf die Lippen. »Was willst du wissen, Mädchen?«
»Habt Ihr wirklich früher für die Reformation gepredigt?«
»Ja, das habe ich. Und ich stehe dazu. Schau dir doch den Zustand der Kirche an. Priester im Konkubinat oder Geistliche, die in Saus und Braus leben. Menschen, die behandelt werden können wie Vieh, weil sie ihrem Grundherrn gehören. Dabei sind wir doch alle Gottes Geschöpfe und gleich vor seinen Augen. Das ist nicht recht. Doch recht ist auch nicht, was die aufständischen Bauern und der Geheimbund des Bundschuh daraus gefolgert haben. Die Verwüstung des Klosters St. Blasien unter Konz Jehle von der Niedermühle, des Vaters von Konz, die Besetzung des Stiftes durch die Segginger Bürger, angeblich um es vor den marodierenden Bauernhorden zu schützen — all das war auch nicht recht. Selbst der große Martin Luther griff zur Feder wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern. Und danach, was danach geschah, das war ebenfalls nicht recht. Vergewaltigte Frauen, Männer, die mit ausgestochenenAugen und
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