Zeit des Lavendels (German Edition)
abgeschlagenen Händen zu ihren Familien zurückkehrten. Falls sie überhaupt heimkamen. Ströme von Blut, die ihre Felder düngten, sodass der Boden noch Jahre danach besonders große Früchte hervorbrachte. Und das alles, weil unser allergnädigster Kaiser Karl V. in seiner maßlosen Verbohrtheit, die er Treue im Glauben nennt, die Zeichen dieser neuen Zeit nicht erkennen konnte. Statt ein besseres Leben für die Menschen seines Reiches zu fördern, regierte die Gewalt. Statt die Spaltung der Christenheit mit Güte zu verhindern, zählte nur der Erhalt und die Durchsetzung der Macht in den Vorlanden. Aus lauterAngst vor den Eidgenossen und den Franzosen. Das hat nichts mehr mit der Botschaft der Bibel zu tun. Das ist nichts als hochmütige menschliche Willkür und politische Strategie.«
Mit großen Augen starrte Katharina die Äbtissin von Seggingen an. Sie hielt den Atem an. Mein Gott, diese Frau war ja wirklich eine Ketzerin. Und sie hatte sich innerlich Vorwürfe gemacht über die eigene Rebellion. Niemals, niemals hätte sie dies alles so ausdrücken können wie Magdalena von Hausen. Doch diese Frau, geboren in der Wiege des Adels anstatt im Stroh des Elends, fühlte ähnlich wie sie.
Die Äbtissin erkannte den Sturm, der in diesem Mädchen tobte, und nahm sanft ihre Hand. »Ja, Katharina. In den Augen der ewig Gestrigen, der Fanatiker und all jener, die ihre Pfründe erhalten und die Veränderung der Welt verhindern wollen, bin ich mit Sicherheit eine Ketzerin. Doch es sind nicht die Menschen, deren Urteil mir wichtig ist. Gott allein wird dereinst über mich richten. Und sollte ich falsch gehandelt haben, so wird er mir in seiner Gnade zugute halten, dass ich es nach bestem Wissen und Gewissen tat. Ich will seinem Weg folgen, den er uns zeigte, als er seinen Sohn auf die Erde sandte, um für uns am Kreuz zu sterben. Wenn mich jemand deshalb Ketzerin schimpft, dann soll er das tun. Und wenn ich dafür eines Tages auf den Scheiterhaufen muss, werde ich auch das durchleiden im Wissen um die Gnade des Herrn. Aber noch ist es lange nicht so weit. Ich bin nicht in Gefahr, ich kann mich verteidigen. Doch bei dir ist das anders! Deswegen musst du schnellstens von hier verschwinden.«
Katharina nickte. »Und wo soll ich hin?«
»Ich habe nach Konz Jehle geschickt. Er wird dich nach Basel bringen zu meiner Schwester Genoveva. Du erinnerst dich sicher an sie. Vor fast vier Jahren hat sie den Rischacher geheiratet. In ihrem Haus bist du sicher. Außerdem hat sie inzwischen ihr drittes Kind bekommen und kann Hilfe gut gebrauchen. Meine Schwester ist eine kluge und liebevolle Frau. Bei ihr bist du in guter Obhut.«
»Warum tut Ihr das alles für mich? Kann es jemandem wie Euch nicht egal sein, was aus mir wird?«
»Ich habe dir den Grund schon einmal genannt, Katharina. Jedes der Kinder Gottes ist gleich vor seiner Liebe und Gnade. Auch du. Außerdem bist du mir ans Herz gewachsen. Auch wenn ich sehr wohl weiß, dass du nicht immer mit mir einverstanden warst.« Magdalena sah schmunzelnd, wie Katharinas Wangen sich verräterisch röteten. Sie hatte ins Schwarze getroffen. Doch dann wurde sie wieder ernst. »Es gibt aber noch einen weiteren Grund. Zwischen dir und mir besteht ein Band, von dem du nichts weißt. Nein, ich werde dir heute nicht davon erzählen. Ich darf es nicht. Ich habe es geschworen beim Heil meiner Seele. Also nimm es einfach so hin. Ich hätte dir auch heute nichts davon erzählt, aber ich möchte, dass du mir vertraust! Geh jetzt und packe deine Sachen.«
Mechanisch suchte Katharina wenig später ihre Habseligkeiten zusammen. Sie versuchte Ordnung in den Wirbel ihrer Gedanken zu bekommen. Ihre ganze Welt war durcheinander geraten. Magdalena von Hausen eine Ketzerin! Sie konnte es noch immer nicht glauben. Also spielte es am Ende vielleicht doch keine Rolle, wer hoch geboren war und wer niedrig. Vielleicht waren die Dinge doch nicht so unabänderlich, wie sie immer geglaubt hatte. So hoffnungslos unabänderlich, das Leben vorgezeichnet, der Platz, den ein Mensch einnahm bis ans Ende seiner Tage festgemauert. Vielleicht doch nicht. Vielleicht konnten Gedanken die Welt verändern, wenn man sie ebenso beständig einsetzte wie die Bauern den Pflug oder die Egge. Furche um Furche, Jahr um Jahr.
Katharina schüttelte diese Überlegungen ab. Sie hatte später noch Zeit, darüber nachzudenken. Jetzt war die Gegenwart wichtig. Es gab wohl nicht viele Menschen, denen sie Adieu sagen konnte. Magdalena von
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