Zeit des Lavendels (German Edition)
linke Hand darauf. Die des Herzens. Und dann warte. Du wirst spüren, wie Seconia dir Schutz und Kraft schickt. Sei einfach ganz ruhig und lass deine Gedanken fließen. Du wirst sehen, sie wartet schon auf dich.«
Katharina war das alles unheimlich. Doch sie tat, wie ihr geheißen wurde. Langsam, um nur ja keinen Lärm zu machen, ging sie auf den Stein zu und legte ihre Hand auf seine Oberfläche. Er fühlte sich glatt und kühl an. Doch nach einiger Zeit — Katharina wusste nicht, ob es Sekunden oder Minuten waren — wurde er warm, schien förmlich in einem eigenartigen Herzschlag zu pulsieren. Ihre Handfläche begann zu kribbeln, als würde sie sie in fließendes warmes Wasser halten. Sie stand ganz still, die ständig bohrenden Gedanken verschwanden, und sie empfand zum ersten Mal in ihrem Leben eine tiefe, warme und friedliche Ruhe.
Konrad Besserer beobachtete das stille junge Mädchen und die alte Frau, die im Schein des Mondes ruhig auf der Lichtung standen. Er triumphierte innerlich. Jetzt hatte er sie. Das war Teufelskult.
5
K atharina war glücklich. Zum ersten Mal seit sie denken konnte, tuschelte niemand hinter ihrem Rücken über ihre dunkle Herkunft. Die Rischachers hatten sie mit offenen Armen und ohne Vorbehalte aufgenommen. Es war ein fröhlicher Haushalt. Und laut. Die drei größeren Kinder waren wahre Racker. Ständig sannen sie auf Streiche, ständig waren sie verschwunden oder brüllten lauthals, weil sie sich wieder einmal die Hosen zerrissen hatten. Doch Mutter Genoveva war nicht aus der Ruhe zu bringen. Welches Malheur sich auch ereignete, sie wusste Trost und Rat.
Thomas Rischacher liebte seine Frau und die vier Kleinen zärtlich. Das konnte jedermann sehen. Der rundliche Mann strahlte über das ganze Gesicht, wenn er seine Frau dabei beobachtete, wie sie den Jüngsten, Huldreich, stillte. Katharina wurde bei diesem Anblick immer ganz warm ums Herz. Ihre Aufgabe war es, sich um die beiden größeren Buben zu kümmern. Kernige Jungen, die zwar viel Unsinn im Kopf hatten, aber ein ebenso gutes Herz wie ihr Vater. Sie konnte nie lange böse mit ihnen sein. Auch wenn sie mal wieder den Milchtopf umgekippt oder sich über und über mit Honig beschmiert hatten. Der dritte hing seinen großen Brüdern ständig am Rockzipfel und schrie wie am Spieß, wenn sie ihn nicht dabeihaben wollten. Dabei konnte er kaum laufen.
Im Haus der Rischachers herrschte auch keine Ruhe, wenn zufällig einmal alle vier Buben schliefen. Da waren die Kunden des Tischmachers zu bewirten, Freunde kamen zu Besuch, Freundinnen von Genoveva schauten »nur schnell einmal - herein«. Nichts von der würdigen Ruhe, die im Stift herrschte. Wenn sie lachen wollte, konnte sie einfach laut herauslachen, ohne dass jemand sie ermahnte, sich doch sittsam zu benehmen. Im Gegenteil, meistens lachten die anderen mit. Ja, Katharina war glücklich. Zum ersten Mal in ihrem Leben unbeschwert.
Basel war eine aufregende Stadt. Es gab so viel zu sehen. Selbst in den Wintermonaten hatte Katharina jede freie Minute genutzt und war durch die verschlammten Straßen gestreift. Oft genug war sie danach mit blau gefrorenen Händen zurückgekehrt. Genoveva hatte ihr daraufhin Schuhe, Strümpfe, ein warmes Kleid und einen Umhang von sich geschenkt. Glücklich und warm eingepackt, war Katharina gleich an ihrem nächsten freien Nachmittag wieder losgezogen. Das war auch etwas völlig Ungewohntes. Einmal in der Woche ein freier Nachmittag. Und sie bekam sogar ein wenig Geld. Mit den Münzen kaufte sie sich dann eine Tasse heißes, dampfendes Bier in einer der vielen Schänken in der Innenstadt und genoss mit großen Augen den Trubel um sich herum auf dem Platz vor dem Münster. Überall Leben, werkelnde Menschen mit einer ganz eigenen Bedächtigkeit. Hunde, die aufs Pflaster pinkelten oder im Schneematsch nach Futter suchten. Hohe Häuser und ein Münster, gegen das St. Fridolin in Seggingen wie eine kleinere Hütte wirkte. Auf dessen Bögen die wilden Tauben saßen und jenen, die Pech hatten, auf die Köpfe schissen. Das war nun wieder genau wie in Seggingen.
Bei dem Gedanken musste Katharina lachen. Ein Spritzer des Milchbreis für die Kleinen, den sie gerade rührte, landete auf ihrer Schürze. So viele Monate war sie nun schon hier. Inzwischen war wieder der Frühling eingekehrt. Endlich. Der Winter war hart gewesen. Sie hatten sich oft genug vor dem Ofen in der Küche zusammengedrängt, um nicht zu frieren. Im Januar war dann der kleine
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