Zeit des Lavendels (German Edition)
Ungeziefer.
Ditzlin war völlig übermüdet. Der nächtliche Ritt über holprige Pfade war ihm und seinem Hinterteil nicht allzu gut bekommen. Er hatte teuflisch aufpassen müssen, damit sein Pferd nicht in ein Loch trat und sich womöglich noch ein Bein brach. Außerdem war er nicht gerade ein begnadeter Reiter. Doch Murgel dachte zunächst nicht daran, Ditzlin auch nur einen Platz zum Sitzen anzubieten, geschweige denn die Bediensteten anzuweisen, ihm etwas zu essen und zu trinken zu bringen.
Doch das änderte sich schnell, als er die Nachricht vom Fall Magdalena von Hausens hörte. Endlich konnte er diesen Dorn aus seinem Fleisch ziehen. Er würde die Rache an diesem Weib genießen. Als redlicher Kirchenmann würde er sofort den Bischof von Konstanz, Christoph Metzler, sowie Papst Paul III. benachrichtigen und selbstverständlich eine strenge Strafe fordern für diese Heuchlerin, die alle mit ihrer aufgesetzten Treue zur heiligen Mutter Kirche so getäuscht hatte. Der Papst würde über das Verhalten dieser Frau, die er noch drei Jahre vorher selbst schriftlich als treue Tochter der Kirche belobigt hatte, bestimmt nicht erfreut sein und mit der ganzen notwendigen Härte reagieren. Ähnlich würde sicher auch Metzler handeln. Der Bischof hatte die Rückkehr des Kapitels nach Konstanz schon förmlich vor Augen. Der Kaiser hatte die Reichsacht über die Stadt verhängt, Karl V. war empört über die Widerborstigkeit der Konstanzer. Es hieß sogar, dass er seine spanischen Truppen gegen das Ketzernest schicken werde. In einer solchen. Situation hatte auch der Habsburger kein Verständnis für eine vom Glauben abgefallene Fürstin. Er würde mit Sicherheit ein Exempel statuieren — sehr zur Zufriedenheit des Konstanzer Domherrn, der dies allerdings nach außen sehr bedauern und allen versprechen würde, dieser armen, fehlgeleiteten Frau zu helfen, wo er nur konnte.
Es war besser, sich diesen Anschein zu geben. Denn Magdalena hatte nach wie vor in ihrem Bruder und in ihrem Vetter Fürsprecher mit Einfluss. Diese beiden würden sich mit Sicherheit für sie einsetzen. Schon, um den Makel, der nun auf der Familienehre lastete, möglichst klein zu halten. Denn eine solche Schande konnte auch ihren eigenen Einfluss in Kirchenkreisen schmälern. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr erhellte sich Murgels anfänglich mürrische Miene. Das war einfach zu schön. Gott belohnte am Ende eben doch jene, die ihm und seiner Mutter Kirche treu dienten. Ganz abgesehen davon: Er liebte diese Spiele.
Mathias Ditzlin hatte sich derweil lieber ruhig verhalten. Er wusste aus langjähriger Erfahrung, dass man bei einem noch verschlafenen Jakob Murgel am besten möglichst wenig redete. Morgens war mit dem Domherrn nie besonders gut Kirschen essen.
Murgel hatte den übermüdeten, hungrigen und durstigen Ditzlin völlig vergessen, während er über all die herrlichen Möglichkeiten nachdachte, die sich durch diese so plötzlich veränderte Situation in Seggingen für ihn ergaben. Wer weiß, vielleicht konnte er sich die beiden Herren von Hausen ja auch noch verpflichten, indem er scheinbar um Milde für ihre gefallene Verwandte beim Bischof und beim Papst warb. Was er natürlich nicht tun würde. Aber er konnte es unter vier Augen wenigstens versprechen. Die Hoffnung auf einen Vorteil hatte schon viele Menschen gutgläubig und naiv werden lassen. Solange er sie im Ungewissen hielt, würden sie tun, was er wollte, um ihn wohlwollend zu stimmen.
Ein leises Scharren weckte ihn aus seinen Überlegungen. Ditzlin tat jedes Körperteil weh. Er konnte einfach nicht mehr länger stehen. So hatte er sich diese leise Erinnerung an seine Anwesenheit gestattet. Murgel sah auf. »Mein lieber Ditzlin, was bin ich doch für ein schlechter Gastgeber. Diese traurige Nachricht aus Seggingen über den Fall unserer allseits geliebten Fürstäbtissin hat mich so tief getroffen, dass ich alles andere darüber vergaß. Bitte vergebt mir meine Unaufmerksamkeit. Nun setzt Euch doch. Habt Ihr Hunger? Habt Ihr Durst? Ich werde sogleich Anordnung geben, Euch etwas zu bringen. Und dann werden wir uns in aller Ruhe darüber unterhalten, wie wir Euch möglichst aus der Geschichte heraushalten können. Ich hoffe, es wissen nicht allzu viele Leute von der Rolle, die Ihr bei dieser unglückseligen Angelegenheit gespielt habt. Doch ich kenne Euer gutes Herz. Es wäre einfach ungerecht, Euch dafür zu bestrafen, dass Ihr zwei Liebenden den Segen Gottes für ihren Bund
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