Zeit des Lavendels (German Edition)
widersprechen. Außerdem hoffte er sehr, dass die Schwester Magdalena in ihrer offensichtlichen Seelenpein ein wenig helfen könnte.
Vorwurfsvoll wandte sich Genoveva an Katharina. »Wie konntest du nur zulassen, dass sie so herunterkommt.« Doch sie sah schon nicht mehr, wie das Mädchen errötete. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt jetzt ihrer Schwester. Genoveva hielt die Ältere wie ein kleines Mädchen in ihren Armen und wiegte sie hin und her. »Ach, Magdalin«, sagte sie immer wieder sanft. »Ach, Magdalin, du wirst sehen, es wird alles gut. Es ist doch auch damals alles gut geworden, als du vor dem Tribunal standest und der Henker sich schon daran machte, den Scheiterhaufen aufzuschichten. Magdalin, verlier doch den Mut nicht. Du müsstest es doch besser wissen als wir alle zusammen. Die Wege des Herrn sind unergründlich. Vielleicht ist dies einfach eine Prüfung, die du zu bestehen hast. Arme kleine Magdalin, jetzt bin ich ja da. Du wirst sehen, es wird alles gut.«
Katharina hörte das sanfte Gemurmel und wünschte sich, sie hätte diese Worte finden können. Doch wie sollte sie. Der Verrat, den sie an Magdalena von Hausen begangen hatte, machte sie stumm. Was sollte sie dieser Frau auch sagen, wie konnte sie ihr helfen? Nur die Wahrheit hätte das möglich gemacht. Doch die Wahrheit, die konnte sie nicht sagen, auch wenn sie noch so herausdrängte, auch wenn sie sie am liebsten herausgeschrien hätte: Hohe Frau, ich war es, die Euch verriet. Ich war es, die dem Schönauer von Eurer Heirat und Eurer geplanten Flucht berichtete.
Warum?, hätte Magdalena von Hausen dann gefragt. Und sie hätte die ganze Geschichte erzählen müssen. Die Geschichte einer naiven, liebesblinden, verratenen jungen Frau, der die Eifersucht den Verstand vernebelt hatte. Und sie hätte erzählen müssen, dass Thomas Leimer der Vater ihres Sohnes war. Nein, das durfte sie Magdalena von Hausen nicht auch noch antun.
Ein leises Schluchzen holte Katharinas Aufmerksamkeit zurück in das Zimmer. Magdalena von Hausen weinte. Verhalten, verzweifelt, aber sie weinte. Katharina hätte jubeln können. Endlich war diese schreckliche Starre gewichen. Dem Himmel und der heiligen Jungfrau Maria sei Dank.
Genoveva wandte ihren Kopf zu Katharina: »Es tut mir Leid, was ich vorhin gesagt habe. Ich weiß, du hast dein Bestes gegeben. Aber siehst du, sie ist meine Schwester. Lass die Schwester jetzt mit der Schwester allein. Geh dich ausruhen. Ich sehe, dass du es nötig hast. Geh, Kind, geh zu deiner Familie.«
Einige Sekunden lang betrachtete Katharina noch die beiden Frauen. Die Jüngere, die die Ältere im Arm hielt, sie sanft wiegte wie ein kleines Kind und ihre Tränen trocknete. Dann wandte sie sich um und ging leise hinaus. Ging die Treppe hinunter, ging durch die Menschen, die im Schlosshof lagerten, bahnte sich einen Weg durch jene, die noch immer ihre stille Wache vor dem Tor hielten. Doch noch konnte sie nicht nach Hause zu Konz Jehle und ihrem Sohn. Sie ging durch die Straße hin zum Münster und betrat durch eine Seitentüre den hohen, stillen Kirchenraum, spürte sofort seine besondere Kraft. Die Gebete so vieler Menschen in so vielen Generationen hatten sie geschaffen. Neben der hintersten der Holzbänke kniete sie nieder.
Katharinas Gebet formte sich wie von selbst in ihrem Herzen und dann in ihrem Kopf. Herr, wenn Du der Gerechte bist, dann lass andere nicht leiden für mein Tun. Gib mir die Kraft, wieder gutzumachen, was ich an Leid gebracht habe. Gib mir die Kraft, andere nicht mit meinem Leid zu beladen. Und gib mir die Kraft, es zu tragen. Mach mich stark. Nicht um meinetwillen, sondern für die, die mich brauchen ...
Dann stand sie auf, strich den Rock glatt und ging nach Hause zu ihrem Mann und ihrem Sohn. Konz Jehle nahm sie in den Arm, als sie heimkam. Einen Moment lang genoss sie die sichere Stärke, die er ihr bot. Sie hatte nie gelernt, ihre Gefühle auszudrücken.
»Konz Jehle, ich bin froh, einen Menschen wie dich zum Manne zu haben«, sagte sie leise. Sie war sicher, Konz hatte sie verstanden. So standen sie lange nebeneinander am Bett ihres schlafenden, kleinen Sohnes.
»Du musst jetzt auch schlafen, kleine Kathrin, geh ins Bett. Ich passe schon auf euch auf, was immer auch geschehen mag. Das werde ich tun, solange ich lebe.«
Dankbar blickte Katharina zu ihrem Mann auf. Er schien zu wissen, wie sehr sie im Moment seine Stärke brauchte. Dann ging sie zum Bett und rollte sich in die Decken wie ein kleines Kind.
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