Zeit des Lavendels (German Edition)
sich über diese Anteilnahme, die, wie er sehr wohl ahnte, schnell in Zorn auf die Mächtigen umschlagen konnte, sollten die Nachrichten aus Ensisheim schlecht sein. Doch er kannte seine Pflicht. So ließ er die Leute vor dem Schloss täglich mit Feuerholz versorgen. Denn die Nächte und Tage waren noch klirrend kalt in diesen Wochen nach dem Osterfest des Jahres 1548. Jene der stummen Wächter, die über Nacht blieben, durften ihr Lager schließlich im Schlosshof einrichten. Dort waren sie geschützter vor den Unbilden des Frostes. Sie bekamen Essen aus der Schlossküche — sehr zum Unwillen der Schönauerin, der es durchaus nicht gefiel, ihre Vorräte so schnell schwinden zu sehen.
Auch im Stift gab es einige gute Geister. In diesen Tagen verschwand einiges aus den Vorratskammern. Spicher Hans Köhler merkte es wohl, doch er war klug genug, nicht danach zu fragen. Denn es war, als hätten die Menschen einer ganzen Region, ob Fischer, ob Bauer oder Fährmann, ob Handwerker oder Höriger, ob Rechtgläubiger oder Ketzer das Schicksal der Magdalena von Hausen zu ihrem eigenen gemacht. Alle Unterschiede, alle kleinlichen Streitereien wurden hintangestellt, bis diese Angelegenheit geregelt war.
In der Ratsstube kamen Schultheiß Marx Bürgin und seine Ratsherren zu stundenlangen Sitzungen zusammen, um zu entscheiden, was in dieser Angelegenheit zu tun wäre. Aber solange aus Ensisheim keine Nachricht eintraf, solange auch Jakob Murgel und die Kirche ihren Willen nicht offenbarten, konnten die Menschen nichts tun als warten — und für Magdalena von Hausen beten. Küchen blieben kalt, Strümpfe ungestopft, die Tiere wurden nur notdürftig versorgt. Die ganze Stadt schien in eine Art Erstarrung gefallen zu sein.
Zu Magdalena von Hausen drang all das nur bruchstückhaft durch. Sie war in ihrer eigenen Welt versunken, sorgsam behütet und gepflegt von Katharina. Die junge Frau schlief fast nie, war immer bereit, auch auf den leisesten Ton zu hören, der irgendwann von dieser gequälten Seele kommen musste. Schließlich wurde auf Rat Katharinas die alte Nele herbeigeholt. Sie ging zwar nur ungern ins Schloss, doch für Magdalena von Hausen machte sie eine Ausnahme. Die Menschen vor dem Tor wichen zur Seite und öffneten ihr stumm den Durchgang.
Ebenso stumm, aber mit fragenden Blicken, ließen sie Nele einige Stunden später wieder hinaus. Doch die alte Frau schüttelte nur bedauernd den Kopf. Sie hatte bei der Fürstin nichts erreichen können — außer ein kleines, klägliches Lächeln der hohen Frau. Die alte Nele machte sich große Sorgen um Magdalena von Hausen. Sie würde sterben, wenn sie so weitermachte. Aber vielleicht war es ja das, was sie wollte. Und ihr gegenüber saß eine inzwischen schon fast ebenso hohlwangige Katharina mit tiefen bläulichen Ringen unter den Augen und dem dunklen Blick eines von Wölfen gehetzten Schafes.
Die Tage zogen sich für die beiden Frauen wie tausend Ewigkeiten hin. Katharina hatte seit dem Abend der Flucht ihren Sohn und ihren Mann nicht wieder gesehen. Denn der Schönauer ließ außer Katharina niemanden zu Magdalena von Hausen. Er hatte der jungen Frau zwar angeboten, sie könne ihre Familie ruhig einmal besuchen, doch Katharina wollte die stille Frau im Bett nicht allein lassen. Sie fürchtete das Schlimmste. Es waren nun schon beinahe zwei Wochen, dass Magdalena von Hausen ihr Gefängnis nicht verlassen und fast nur Wasser zu sich genommen hatte. Es war förmlich von Tag zu Tag zu sehen, wie sie immer schwächer wurde.
Gegen Mittag klopfte es plötzlich zögernd, die geschnitzte Zimmertüre öffnete sich. Herein stürmte Genoveva Rischacher, gefolgt von Hans Jakob von Schönau, dessen hochrotes Gesicht davon kündete, dass er vergeblich versucht hatte, die Rischacherin am Besuch bei ihrer Schwester zu hindern. Doch Genoveva ließ sich von nichts und niemandem zurückhalten. Die sonst so besonnene Frau war völlig aufgelöst. Mit einem Entsetzensschrei stürzte sie zum Bett und nahm die magere, kleine Gestalt darin in die Arme.
»Oh Magdalin, was haben sie nur mit dir gemacht.« Genoveva schluchzte. Dann riss sie sich zusammen. »Bringt mir sofort eine milde Brühe, mit einem Ei und etwas Wein, den ich unter das Wasser mischen kann. Dann brauche ich noch ein Kissen. Und etwas Brot. Und ein wenig Parfüm von Eurer Frau könntet Ihr auch mitbringen, Schönauer. Geht schon, lasst uns allein.«
Hans Jakob von Schönau sah sofort, bei dieser Frau war es besser, nicht zu
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