Zeit des Lavendels (German Edition)
hatte. Doch sie wagte es nicht, direkt danach zu fragen. »Es ist wichtig. Er muss sofort erfahren, was ich ihm zu berichten habe. Um aller Heiligen willen, wo ist er denn hin? Wann kommt er zurück?«
»Woher soll ich das wissen? Bin ich Moses der Prophet, wächst mir Gras aus der Tasche?« Die Luke schloss sich krachend. Und alles Hämmern half nichts. Das Tor blieb zu.
Wieder und wieder pochte die junge Frau an das große Tor. Doch sooft sie auch zum Schloss ging und den Großmeier zu sehen verlangte, immer wieder bekam sie dieselbe Antwort. Der Herr von Schönau sei nicht da. Nein, niemand wisse, wann er wiederkommen werde.
Katharina blieb nur noch eines: die Hoffnung, dass der unselige Brief den Schönauer niemals erreicht hatte. Die Hoffnung auf ein Wunder. An diesen Gedanken klammerte sie sich, während sie ziellos umherirrte, von der Steinbrücke zur Holzbrücke wanderte und wieder zurück. Vielleicht konnte sie den Schönauer auf dem Heimweg abpassen. Doch die Hufschläge erklangen nicht, auf die sie so sehr wartete. Kein massiger Mann kam über die Brücke galoppiert und erklärte ihr, er habe niemals einen Brief erhalten. Katharina betete. Gott, der in seiner Gnade seinen eingeborenen Sohn für die Menschen sterben ließ, dieser Gott durfte es einfach nicht zulassen, dass ihr Verrat Wirklichkeit wurde. Für dieses Wunder versprach sie Gott ihr Leben.
Und dann kam der Abend. Die Nacht senkte sich über die Stadt. Die Stunde der Abreise von Magdalena von Hausen und Thomas Leimer war da.
Magdalena von Hausen hätte später nicht mehr zu sagen gewusst, wie sie diesen Tag überstand. Sie verabscheute die Täuschung, die sie vorhatte. Äußerlich wirkte sie wie immer ruhig, sicher, freundlich zu jedem, der sich an sie wandte. Doch innerlich schämte sie sich für das, was sie den Menschen, die ihr anvertraut waren, mit ihrer heimlichen Flucht antat. Dennoch wurde sie keinen Moment wankend in ihrem Entschluss. Hier ging es um so viel mehr als um ihr kleines persönliches Glück oder äußerliche Ehre. Hier ging es um einen gerechten Kampf für eine bessere Welt, wie es Martin Luther, Huldreich Zwingli oder der große Oekolompad aus Basel, der viel zu früh verstorbene zweite Ehemann ihrer Freundin Wibrandis Rosenblatt, sie gelehrt hatten. In dieser Gewissheit überstand Magdalena von Hausen die Stunden bis zum Einbruch der Dämmerung.
Sie wollte nicht viel mitnehmen aus ihrem früheren Leben. Einige Kleider, etwas Wäsche und die kostbare Gutenberg-Bibel. Das Buch lag neben der Urkunde, die die Heirat bestätigte, wohl verwahrt in der Eichentruhe, die sie schon mitgebracht hatte, als sie als kleines Mädchen ins Stift gekommen war.
Immer wieder läutete sie nach Katharina. Doch die junge Frau blieb verschwunden. Auch ihr Mann Konz wusste nicht, wo sie steckte. Sie hätte sich so gerne von ihr verabschiedet. Der Abschied von so vielen Jahren ihres Lebens und lieb gewordenen Menschen fiel ihr ohnehin schwer. Von Menschen, die sie nur allzu bald aufs Bitterste enttäuschen musste. Fast konnte sie verstehen, dass Katharina an einer solchen Lüge keinen Anteil haben wollte. Trotzdem war sie traurig.
Offiziell hatte Magdalena von Hausen Anweisung gegeben, gegen Abend das Pferd Thomas Leimers zu satteln, da er noch in der Nacht nach Zürich müsse. Außerdem hatte sie befohlen, ihre Kutsche bereitzuhalten. Denn die Fürstäbtissin des Stiftes Seggingen werde diesem großen Prediger nicht die Ehre versagen, ihn ein kleines Stück des Weges zu geleiten. Als Schutz und Begleitung werde sie Konz Jehle mitnehmen. Mehr Hilfe brauche sie nicht, da sie gedenke, schon bald wieder heimzukehren. Heimlich, wenn niemand zugegen war und der Abend des Tages herandämmerte, sollte Konz Jehle ihre Truhe dann in die Kutsche schaffen. So war alles vorbereitet und so geschah es.
Im Lichte der aufgesteckten Fackel rollte die Kutsche Magdalenas auf die Holzbrücke zu. Neben ihr, wieder im dunklen, spanischen Gewand, ritt Thomas Leimer. Magdalena von Hausen hatte die Vorhänge der Kutsche zugezogen. Sie wollte nicht, dass die Menschen ihr Gesicht sehen konnten. Das Gesicht einer Frau, die sie so schmählich im Stich ließ. Auf dem Boden stand die Truhe mit den Habseligkeiten Magdalenas. Konz Jehle saß derweil auf dem Kutschbock und warf immer wieder Blicke auf den dunklen Reiter neben sich, der später sein Pferd hinten an der Kutsche anbinden und dann seinen Platz auf dem Bock einnehmen würde.
Da gellte ein Schrei durch die
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