Zeit des Lavendels (German Edition)
Sonne waren trügerisch. Nach der Kälte kam der große Regen. Die vereinzelten Äpfel, Birnen oder Pflaumen, die in den geschützteren Lagen die Kälte überstanden hatten, verfaulten an den Bäumen, bevor sie Zeit hatten zu wachsen. Die neue Saat wurde weggeschwemmt. Die Rüben, die aus dem Boden geholt wurden, stanken — sofern sie überhaupt gewachsen waren. Die Weintrauben faulten an den Stöcken. Die Wasserläufe der Wuhre und Bäche, die von den Bergen im Norden herunterkamen, brachten Geröll und Schlamm, überschwemmten Wiesen und Felder. Das Wasser des Rheins hatte seine Kraft vervielfacht und brandete bedrohlich um die Mauern des Gallusturmes, wo der Fluss sich zweiteilte, der Gießen überschwemmte die Bündten und Gärten. Da wurde das Gemurmel vom Fluch wieder lauter.
Elisabeth, die Tochter des Gerbermülles, war die Erste, die es Katharina gegenüber laut aussprach. Als die junge Frau an ihrem Haus vorüberging, stürzte sie sich plötzlich aus der Tür und warf sich auf sie. »Du Hexe«, kreischte Elisabeth. »Du gehörst verbrannt. Du bist schuld an diesem Fluch, der über uns allen liegt.«
Katharina versuchte verzweifelt, Elisabeth daran zu hindern, ihr die Haare büschelweise auszureißen. Mehrere Menschen verfolgten das Spektakel, doch niemand half. Alle Gesichter waren drohend und gleichzeitig voller Schadenfreude. Endlich schaffte es Katharina, sich freizumachen. Wie von Furien gehetzt lief sie heim, so schnell sie konnte. Es war schwer, denn die Zeit der Geburt stand nahe bevor. Nicht einmal ihr hoch gewölbter Bauch hatte Elisabeth von diesem Angriff abhalten können. Sie musste sich der Zustimmung der anderen sehr sicher sein.
Konz hatte alle Mühe, seine völlig aufgelöste Frau zu beruhigen, als sie schwer atmend und schweißüberströmt direkt in seine Arme lief. Zunächst konnte sie ihm kaum erzählen, was geschehen war. Als Konz schließlich die ganze Geschichte Wort für Wort aus ihr herausgeholt hatte, sah er rot. Das hier konnte gefährlich werden. Zu viele Scheiterhaufen hatten schon für Hexen gebrannt. Zu viele Familien waren zerstört, zu viele Menschen gequält worden. Am Ende hatten sie alle gestanden. So weit durfte er es nicht kommen lassen. Nicht für Katharina, nicht für ihren Sohn, nicht für das Kind, das bald kommen würde, nicht für all jene, die diese besondere Art der Pest noch mit hineinziehen würde in den Strudel der Gewalt, der sich da anbahnte. Wie ein wütender Bär streifte der Mann durch die Wälder, um sich erst einmal zu beruhigen. Selbst in seinem wilden Zorn sagte ihm noch ein Fünkchen seines sonst klaren Verstandes, dass er nun nichts Unbedachtes tun durfte. Das würde die Lage nur noch verschlimmern. Die verängstigte Katharina hatte er davor zu jener Frau gebracht, die der Familie schon so oft geholfen hatte. Magdalena von Hausen steckte zwar selbst in Schwierigkeiten, doch bei ihr war Katharina sicher. Wenigstens für den Moment.
Am Abend dieses Tages fand sich eine kleine, besorgte Runde bei Magdalena von Hausen ein. Sie hatte zwar Hausarrest, doch davon, dass niemand zu ihr durfte, hatte nichts in dem Schreiben gestanden, das die Delegation aus Ensisheim mitgebracht hatte. Die Situation war bitter ernst, das wussten alle — Hans Jakob von Schönau, Schultheiß Marx Bürgin, Konz Jehle und Katharina. War der Verdacht der Hexerei erst einmal laut ausgesprochen, dann vervielfältigte er sich wie ein Echo, konnte eine Lawine auslösen. Das hatte schon der Prozess gegen eine junge Frau gezeigt, der im Frühling und Frühsommer drei Monate lang das ohnehin unruhige Konstanz völlig aufgewühlt hatte. Sie war bezichtigt worden, mit dem Teufel im Bunde zu sein, obwohl sie im Spital arbeitete. Danach gab es nichts und niemanden, der diesen Erdrutsch hätte aufhalten können. Weder Kaiser noch König. Und wenn erst einmal die Kirche ihre Hand im Spiel hatte, war endgültig alles zu spät. Es gab viele in Seggingen, die Katharina nicht wohlgesonnen waren und gute Beziehungen zur Kirche hatten. Auch das wussten alle.
So wurde beschlossen, Katharina zunächst einmal aus der Schusslinie der bösen Gerüchte zu nehmen. Sie sollte für die nächsten Wochen bei Magdalena von Hausen bleiben und dort auch ihr Kind zur Welt bringen. An eine Reise nach Basel — wie schon einmal in einer ähnlichen Situation — war aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft jedenfalls im Moment nicht zu denken.
Katharina war völlig außer sich vor Angst. Außerdem stand
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